Lilo David 

Ihre Reise kann beginnen 

Benedikts Wunschbaum .   

 

Es war kein gewöhnlicher Sonntag. Es war der Sonntag, an dem wir unseren Weihnachtsbaum kaufen wollten. Seit vielen Jahren war es Tradition, dass mein Mann und ich am Samstag vor dem vierten Advent unseren Weihnachtsbaum kauften. Dieses Jahr hatten wir beschlossen nicht einfach nur zu einem Händler zu fahren und in Windeseile einen Baum auszusuchen. In diesem Jahr wollten wir es zum ersten Mal mit unsern Kindern gemeinsam tun. Schon Tage zuvor hatte ich mir ausgemalt, wie wir zusammen ein Baum nach dem anderen auf Tauglichkeit und Schönheit abklopfen würden , um uns dann am Ende für den allerschönsten zu entscheiden. In einer Stadteilzeitung hatte ich gelesen, dass eine große Baumschule, am letzten Sonntag vor Weihnachten, mit weihnachtlichem Brimborium, Kutschenfahrten, warmen Getränken und leckerem Gebäck, ihre Bäume zum Kauf anboten. Ein Vergnügen für Groß und Klein, stand in großen Buchstaben zu lesen. Genau dort wollten wir hin.  Gleich nach dem Frühstück sollte es losgehen. In den letzten Tagen hatte das Wetter umgeschlagen und mittlerweile herrschte draußen eine eisige Kälte. Bis zum Heiligen Abend waren es noch genau 7 Tage. Natürlich waren sie aufgeregt und zappelten schon herum, während mein Mann und ich noch halb verschlafen am Frühstückstisch saßen und versuchten unsere Gedanken zu sammeln. Doch alles Bitten und Betteln unsererseits nutze nichts. Unsere Kinder wollten los.

 Unter lautem<< Juhu<< und<< Juchhe<< und diesem unverwechselbaren Kinderlachen, dass einem augenblicklich ganz tief ins Herz rutscht,  zogen wir uns an. << Es geht los, es geht los<<, rief mein vierjähriger Sohn lauthals und hüpfte dabei von einem Bein auf das andere. Und  während ich ihm noch  seine Schuhe zuband, seine Jacke zuknöpfte und dafür sorgte, dass er die warme Mütze auf dem Kopf behielt, standen Vater und Tochter bereits draußen und bliesen ihren warmen Atem in die Luft. <<guck mal Papa, wie lange es sich hält<<,  hörte ich unsere Tochter rufen,  während sie zusah, wie ihr Vater tief einatmete und seine Luft gen Himmel schickte. Und dann endlich war es soweit. Warm eingepackt saßen wir im Auto und während wir in gemessener Geschwindigkeit über die Landstraße fuhren, quasselten und glucksten Sohn und Tochter auf der Rückbank und ich freute mich ungemein auf unser großes Erlebnis.  Plötzlich wurde es ganz still und dann hörte ich die leise und helle Stimme meines Sohnes: << Mama, was für einen Baum wollen wir kaufen<<?

<< unseren Weihnachtsbaum<< sagte ich und lächelte leise in mich hinein. Es dauerte gar nicht lange und schon sprudelte aus seinem Munde, die zweite Frage

<<  sind da denn viele Bäume? <<

<< ja, sehr viele<< antwortete ich.

Und dann wurde es noch stiller als still. Weder Tochter noch Sohn sagten auch nur einen einzigen Ton. Und dann hörte ich von einem Augenblick auf den anderen unsere Tochter leise zischen:

<< frag du doch<<  

Kennen sie das, wenn eine unausgesprochene Frage im Raum steht und sich niemand traut sie zu stellen? Wenn ja, geht es ihnen bestimmt so  ähnlich, wie mir damals. Für einen Moment schwankte ich zwischen Offensive und Defensive. Sollte ich so tun, als hätte ich unsere Tochter nicht gehört oder gleich antworten, ohne die Frage abzuwarten? Doch noch bevor ich überhaupt irgendeine Entscheidung meinerseits fällen konnte, hörte ich unseren Jüngsten, in beinah weinerlichem Tonfall: << wenn da so viele Bäume sind, wie weiß ich dann, welcher unser Baum ist? << .

Auf eine solche Frage hatte ich mich nicht einen einzigen Moment vorbereitet. Sie traf mich, wie der  berühmte Donnerschlag, so zusagen, auf kaltem Fuß.  Für einen Moment wusste ich gar nichts darauf zu antworten.  Ja, wie erkennt man also den einen, wahren  Baum unter all den anderen? Ohne Zweifel, ich war ihm eine gute Antwort schuldig. Ich dufte alles sagen, nur nicht zugeben, dass ich es selber nicht wusste. Also überlegte ich und hörte mich kurz darauf, in überzeugendem Tonfall antworten << er spricht mit dir, wenn es der Richtige ist<<.  Das wollte mein Sohn jetzt aber genauer wissen und prompt folgte von ihm  ein  << was, sagt er denn, Mama?  << .

Schnapp, die Falle war zu! Jetzt war guter Rat teuer. Die Suppe hast du dir eingebrockt, nun sehe zu, wie du da wieder rauskommst, hörte ich mich im Geiste sagen. Also versuchte ich es nochmal und dieses Mal mit etwas winterlichem, weihnachtlichen Zauber. << Nun, sie reden nicht so wie du und ich. Aber, wenn du ganz leise bist, hörst du ihre Stimme im Herzen. Du wirst es spüren, glaube mir<<.

Ich fand, das war eine wundervolle und ebenso kindlich schöne Erklärung. Kurz darauf hielten wir auf dem Parkplatz. Es war voll und außer uns waren gefühlt tausend andere Familien noch da. Draußen roch es nach Tannen,  Mandeln und Zuckerwatte. Ein Weihnachtsmann stand am Eingang und verteilte kleine Leckereien an die Kinder. Aus der großen Scheune , in der es Winterpunsch und Glühwein gab, drang Weihnachtsmusik zu uns herüber und die Pferdekutsche mit lachenden und juchzenden Kindern zog genau in dem Augenblick an uns vorbei, als wir auf dem Weg hin, zu den Weihnachtsbäumen waren, die in langen und breiten Reihen, wie große und kleine Zinnsoldaten aufgereiht standen.

<< ich will auch, ich will auch<<, rief mein Sohn aufgeregt,  als die Pferdekutsche an ihm vorbeizog..

<< später << hörte ich mich sagen und << erst suchen wir unsern Baum<<.

Eine Reihe nach der anderen schritten wir ab. Mal war der Baum zu klein, mal zu groß, ein anderes Mal zu dick oder zu dünn. Wir konnten uns einfach nicht entscheiden und mit der Zeit wurden die Gesichter unserer Kinder immer länger und länger.

<< es hat noch keine mit mir gesprochen<< hörte wir plötzlich  unseren Sohn im traurigen Tonfall

<< vielleicht probieren wir es nachher nochmal in aller Ruhe<< beschloss mein Mann  << lasst uns erstmal etwas Warmes trinken, bei der Kälte wird es uns guttun<<.

So trabten wir, jeder mit einem Kind an der Hand, zur Scheune. Es war kalt und auf ein bisschen Wärme freuten wir uns alle.  Aus einem Lautsprecher drang der fröhliche Gesang eines Kinderchors zu uns. Voller Inbrunst sangen sie << morgen Kinder wird’s was geben<<.  Ich seufzte  kurz und hörte mich ganz beseelt  sagen: << mir wird ganz warm ums Herz<<.   << das kommt vom Glühwein<<, meinte mein Mann und stupste mich leicht in die Rippen. Unsere Kinder standen vor einer riesengroßen geschmückten Tanne. << sie ist mindestens 5 Meter<<, meinte mein Mann, als er sie von oben bis unten betrachtete. Während wir mit kalten Füssen aber warmen Händen unseren Glühwein tranken, reihten sich unsere Kinder in einer langen Schlange von ebenso aufgeregten und  wartenden Kindern ein, um sich  auf den großen und weichen Strohballen im Stroh hüpfen zu erproben. Irgendwann hatten sie keine Lust mehr und standen zappelnd und laut bettelnd vor uns << wollen wir nicht jetzt endlich unseren Weihnachtsbaum suchen<<. hörten wir beide beinah wie aus einem Mund fragen.

<< ja! <<  gab mein Mann zur Antwort. << aber dieses Mal dürft ihr alleine suchen<<

<< ohne euch? << fragte unsere Tochter überrascht.

<< nein, nicht ganz alleine<< ,lenkte mein Mann ein. << wir gehen hinter euch und ihr schaut, ob ihr unseren Baum finden könnt<<

Wieder schritten wir Reihe für Reihe ab. Irgendwann wich unser Sohn vom platt getretenen Pfad ab und suchte in mitten der Bäume. Manchmal konnten wir ihn vor lauter Tannengrün und Ästen gar nicht mehr sehen und dann  plötzlich hörten wir ein<< Mama, Mama, Ich hab ihn gefunden, komm schnell her<<

Doch, was war das? Mit allem hatte ich gerechnet nur nicht damit. Da  stand er, mit leuchtenden Augen vor einer winzig kleinen Tanne. Ich wusste nicht mal, ob man sie überhaupt schon als Tanne bezeichnen konnte, so klein, wie sie war. Mit ihren vielleicht sechzig Zentimeter reichte sie ihm gerade mal bis zu seinen Hüften.

<< Mama, sie hat gesagt, nimm mich mit, wirklich<<,  beteuerte er,  mit einem Blick der jedes Herz zum Schmelzen brachte.  

<< aber sie ist so klein << versuchte ich einzulenken.  Aber all unser Reden nutze nichts. Je mehr wir versuchten, ihn zu überzeugen,  nach einer größeren Tanne zu suchen, desto mehr beharrte er darauf, dass genau diese Tanne mit ihm geredet hätte. << wirklich Mama, sie hat ganz deutlich gesprochen, ich hab es genau gehört<<.

Plötzlich zupfte mich unsere Tochter am Ärmel. << die will ich nicht, die ist blöd und viel zu klein<< zischte sie leise. << Ich weiß<< sagte ich ebenso leise  und überlegte, wie wir aus dieser Sache herauskommen, ohne großes Geschrei und überflüssigen Tränen.

<< Wie wäre es, wenn du hier  mit Papa  stehen bleibst und auf die Tanne achtest, während deine Schwester und ich nach einer suchen, die etwas größer ist und vielleicht ebenso gerne bei uns im Weihnachtszimmer stehen würde? << versuchte ich unseren Sohne zu überzeugen.

<< nein, ich will diese Tanne. Du hast gesagt, der Baum, der mit mir spricht,  ist der Richtige. Und er hat mit mir geredet<< beteuerte er zum zweiten Mal und stampfte, was er immer tat, wenn er etwas wollte, was wir nicht wollten, mit seinem Fuß auf den Boden.  Mit herabhängendem Mundwinkel und einem Blick, der nichts Gutes verhieß, hielt er die kleine Tanne fest in seinen Händen und sah zu mir hoch.  Ich wartete einen kleinen Augenblick, beugte mich dann zu ihm herunter und flüsterte ihm ins Ohr

<< nur noch einmal gucken, vielleicht redet eine Tanne ja auch mit deiner Schwester<<

 << na gut<<,  sagte er nach kurzem Überlegen. Ich war erleichtert und dann zogen wir zwei Mädels los. Wieder gingen wir durch die Reihen, schauten rechts und links und ließen dieses Mal auch wirklich keinen einzigen Pfad aus. Plötzlich blieb meine Tochter stehen. << und die hier, Mama? <<

Oh je, dachte ich. Erst die viel zu kleine Tanne und nun eine Tanne , die an die zwei Meter maß. Aber schön war sie allemal. Schmal und gerade  gewachsen und genau diese dicken Äste, die man benötigt, wenn man noch richtige Kerzen auf dem Baum hat. Ich trat ein paar Schritte nach hinten, um sie mir genauer zu betrachten. Nichts an ihr war verkehrt. Sie war einfach wunderschön.

<< und sie hat nicht mal einen einzigen Piep gesagt<<,  hörte ich  meiner Tochter schmunzelnd sagen.  

Dann bat ich meine Tochter ihren Vater und Bruder zu holen. Während ich wartete dachte ich angestrengt nach, was wir mit der kleinen Tanne machen sollten. Wir konnten doch unmöglich beide mitnehmen?  Insgeheim hoffte ich natürlich, dass mein Sohn sie beim Anblick der großen und wunderschönen Tanne vergessen würde.

 

<< Oh, ist die aber groß<< entfuhr es Benedikt beim Anblick dieser stattlichen Tanne und auch mein Mann zog seine Augenbrauen leicht nach oben. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass er mit unserer Wahl nicht ganz so  einverstanden war. Und während ich sie festhielt, als würde ich einen Schatz in meinen Händen halten, machte  mein Sohn zwei große Schritte auf die Tanne zu. Langsam ging er um sie herum und hielt ein paar Mal  sein Ohr ganz nah an den kleinen Ästen. Plötzlich trat er einen Schritt zurück, sah erst mich dann seinen Vater und seine Schwester an und verkündete laut:<< sie sagt keinen Ton<<

 Aus dieser Nummer kommst du nicht mehr heraus. Mir fiel beim besten Willen  nichts mehr ein, was ich jetzt noch hätte sagen konnte, um eine andere Tanne, als die winzig kleine, mit nachhause nehmen zu können. Im Geiste sah ich uns am Heilig Abend vor dieser winzig kleinen Tanne sitzen. Nicht mal groß genug , um auch nur ein einziges Geschenk darunter zu legen. Mir war zum Heulen zumute und dann plötzlich hörten wir, unter lautem Lachen, unsere Tochter sagen: 

<< aber mit mir hat sie geredet! Sie ist nämlich seine Mutter, das hat sie mir ganz deutlich gesagt, ich schwöre<<.

<< In echt? << fragte mein Sohn erstaunt .

<< na klar<< antwortete seine große Schwester und zwinkerte mir und ihrem Vater verschwörerisch zu.

<< na, wenn das so ist, müssen wir wohl beide nehmen<< antwortete mein Mann lachend.

 So kam es, dass wir Weihnachten gleich zwei Tannen im Wohnzimmer hatten.

Eine große,  hell erleuchtet und wunderschön geschmückt und daneben eine winzig kleine mit ein paar kleinen Kugeln und selbstgebastelten Sternen.

Ich habe noch oft, in all den vergangenen Jahren, wenn mein Mann und ich und unsere Kinder,  am Samstag vor dem vierten Advent einen Baum für uns aussuchten, an dieses Erlebnis denken müssen.  Und eines habe ich dabei gelernt:

Es ist nicht wichtig immer nach Schönem und Großen Ausschau zu halten. Auch in kleinen, winzigen und beinah unscheinbaren Dingen steckt der Zauber der Weihnacht.

 

 

 

 

 

 

  

 

 

 

 

 

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