Familiengespräche oder, vom fehlenden A.. in der Hose.
Neulich saßen wir mal wieder zusammen. Meine Schwester, mein Bruder und ich. Und wie so oft redeten wir über dies und das. Auch über die Dinge, die bei uns vielleicht die eine oder andere Wunde gerissen haben. Manches hat man halt nicht in der Hand. Selbst dann nicht, wenn man sich wünscht vielleicht doch anders gehandelt zu haben, muss man irgendwann einsehen, dass man die Vergangenheit nicht mehr ändern kann. Bestenfalls kann oder sollte man sich mit ihr arrangieren und das Beste für sich herausziehen. Was zählt, ist die Zukunft. Und mal ehrlich. Jeder hofft doch auf ein langes und erfülltes Leben. Umso unvermittelter trifft es einen, wenn dann jemand und dies ohne ersichtlichen Grund mitten in der Unterhaltung mitteilt, dass er alle Vorkehrungen getroffen hat. Es war wie der berühmte Schlag vor dem Bug. Unweigerlich schaut man diejenige Person prüfend an und ohne eigenes Zutun fängt das Gedankenkarussell an sich zu drehen.
Die Generation 50 plus erfährt geradezu eine neue Renaissance. Ist so zusagen in aller Munde. Für Werbeagenturen, Versicherungen und Fitnessstudios ist meine Generation ein gefundenes Fressen. Man wird hofiert und ständig wird einem suggeriert, wie jung und knackig man noch ist und, dass man längst noch nicht zum alten Eisen gehört. Wozu sich also Gedanken machen, was morgen, übermorgen oder nächstes Jahr sein wird? Die eigene Sterblich- und Gebrechlichkeit rückt weit nach hinten und erscheint einem ebenso unglaubhaft, wie die Fata Morgana in der Wüste Gobi. Die Gedanken an Schnabeltasse, Windeln und sabbernde Münder, ja, sogar an die eigene Sterblichkeit erscheinen einem so absurd, dass wir sie gerne ganz weit wegschieben. Am besten tief im Keller, in irgendeine Schublade vergraben. Aber, wenn wir ehrlich sind, ist gar nichts von alldem weit entfernt. Gut, es ist noch nicht zum Greifen nah, aber sehr weit davon entfernt sind wir nicht mehr. Wir, die Ü 50 und 60. Uns ist schon bewusst, dass die Jahre, in Siebenmeilenstiefeln an uns vorüberziehen und zwanzig Jahre schneller vergehen können, als uns lieb ist. Nur wahrhaben wollen, das ist eine völlig andere Geschichte.
Natürlich sind wir heute anders, als noch die Generation unserer Eltern. Wir sehen nicht nur jugendlicher aus, wir leben gesünder, treiben mehr Sport, bereisen die halbe Welt , springen noch mit über sechzig aus einem Flugzeug und gleiten gelassen per Fallschirm, mit rasender Geschwindigkeit auf die Erde zurück, verlieben uns womöglich neu und starten noch mal so richtig durch. In der TAZ hab ich neulich in einem Artikel über Eltern folgendes gelesen. Laut Statistischem Bundesamt hat mittlerweile jedes 20. Geborene Kind einen Vater über 50, jedes vierte einen über 40 und mindestens jedes dritte Kind einen Vater über 35 Jahren. Seit den Siebzigern lautet eine Studie des Bundesfamilienministeriums, gibt es einen Trend zu alten Vätern. Für Berufstätige des gehobenen Mittelstandes sei es „ zu einem Statussymbol geworden, in einem späten Lebensalter Kinder zu bekommen“. Nimmt man all dies zugrunde ist es doch kein Wunder, dass wir so tun, als hätten wir alle den Kelch des ewigen Lebens gefunden.
Und dann kommt plötzlich jemand und sagt, er hätte alle Vorkehrungen getroffen und macht das schöne Bild von der ewigen Jugend mit einem Schlag zunichte.
Es hat mich erschreckt und für einen Moment überrascht dasitzen lassen. Aber es ändert nichts an der Tatsache, dass derjenige mit seiner Handlung absolut weise und verantwortungsvoll gehandelt hat. Das ich damit vielleicht mein Problem habe und es mich schmerzlich an meine eigene Vergänglichkeit erinnert, ist mein eigenes Problem.
Es ist ja so. Die Sache, mit dem Nachwuchs, habe ich schon vor zwanzig Jahren abgeschlossen. Den Wunsch aus einem fliegenden Flugzeug zu springen und mir den Wind um die Nase wehen zu lassen, habe ich nie gehabt. Auch um die halbe Welt muss ich nicht reisen, um glücklich zu sein. Aber dennoch gibt es noch so viele Dinge, die ich erleben möchte und noch tun will. Fürs Älter sein habe ich eigentlich noch gar keine Zeit und schon gar nicht möchte ich mich mit meiner eigenen Sterblichkeit beschäftigen oder meine Gedanken daran verschwenden, was mit mir geschehen soll, wenn ich krank und siechend zu Bette liege. Für mich liegt das alles noch so weit entfernt. Verdammt noch eins, ich fühle mich noch so jung! Alleine bin ich mit diese Einstellung sicherlich nicht. Beruhigen tut es mich dennoch nicht, weil mir, nachdem ich darüber nachgedacht habe, ganz deutlich bewusst wurde, wie verantwortungslos ich eigentlich handle und denke.
Spaß am Leben zu haben, ist kein Privileg der Jugend. Das ist unabhängig vom Alter. Aber anders, als jüngere Generationen sollten wir älteren so viel A…. in der Hose haben, bewusst zu handeln und nichts auf die lange Bank zu schieben. Was nicht bedeutet, dass man ständig an Krankheiten denken muss oder daran, was einem vielleicht widerfahren könnte. Aber ein bisschen mehr Eigenverantwortung, sollte man schon mit zunehmenden Alter zeigen. Selbst ist der Mensch und das gilt besonders, wenn es darum geht, seine Vorkehrungen zu treffen. Es mag einem nicht unbedingt gefallen. Aber wichtig ist es auf jeden Fall.
Ich für meinen Teil werde es tun. Ob gleich morgen oder erst nächste Woche oder erst in einigen Monaten, weiß ich noch nicht. Wie gesagt. Ich bin nicht klüger oder weiser, als andere. Und um ehrlich zu sein, muss ich erst meinen inneren Schweinehund am Kragen packen und meine Befindlichkeit, ob dieses doch schwierigen Themas, ganz hinten im Garten, unter meine Rhododendronbüsche vergraben. Und wer weiß, vielleicht beherzige ich, dann ein Zitat von Marie von Ebner- Eschenbach das da lautet:
Dass alles vergeht, weiß man schon in der Jugend; aber wie schnell alles vergeht, erfährt man erst im Alter.
In diesem Sinne herzlichst eure Lilo