Freut ihr euch schon?
Mit diesem Slogan wirbt die Stadt Kiel, für ihre diesjährige Wiedervereinigungsfeier, unter dem Gesamtmotto „ Mut verbindet“. Das klingt nicht gerade wie ein Donnerhall, eher etwas zögerlich und ängstlich, so, als würde man um etwas bitten. Eine Bitte, ist jedoch die Grundvoraussetzung dafür, dass viele oder ein Einzelner etwas möchte, was andere vielleicht eher ablehnen oder auf gar keinen Fall tun würden, es sei dann, man bittet höflich darum. Bei der Betrachtung des Gesamtmottos: „ Mut verbindet“, kommt mir automatisch der Gedanke, ist hier der Mut vor über dreißig Jahren gemeint oder doch eher der Mut, den wir zukünftig benötigen, damit endlich zusammenwächst, was eigentlich schon immer zusammengehört hat und von dem wir wissen, dass unsere deutsch- deutsche- Teilung nur aufgrund verschiedener politischer Systeme beruhte, die man leider auch heute noch teilweise spüren kann, wenn man genau hinsieht und hinhört?
Wie steht es nun also wirklich mit unser aller Freude, um unsere Wiedervereinigung? Sind, wir wirklich noch hellauf begeistert oder ist die Begeisterung eher einer stillen, wenn auch spürbaren Resignation gewichen? Brauchen wir mittlerweile tatsächlich eine Bitte, um uns über etwas zu freuen, was vor dreißig Jahren zu endlich vielen und wunderbaren Begegnungen geführt hatte und nachweislich unser Land für immer verändert hat?
Mit den 9. November verhält es sich, wie mit dem 11. September. Noch immer können sich die meisten Menschen haargenau daran erinnern, was sie an diesen beiden Tagen getan haben. Solche Ereignisse, brennen sich tief in die Gedanken eines jeden Einzelnen und egal, wie viele Jahre darüber vergangen sind, wird man sich daran erinnern. Als die ersten Meldungen, am 9. November in den Nachrichten liefen und ich am Fernseher all die begeisterten Menschen gesehen habe, trug ich gerade meinen 6 Monate alten Sohn im Arm und wog ihn sanft hin und her. Natürlich, war ich, wie alle euphorisiert und meine Freude darüber, war weder gespielt noch geheuchelt. Sie war ebenso echt, wie meine Trauer 12 Jahre später, als die Flugzeuge ins World Trade Center flogen.
Selbstredend kann man beide Ereignisse nicht miteinander vergleichen. Darum geht es auch nicht, sondern, darum, dass beides unsere gesamte Welt für immer verändert hat. Zugegeben, meine Freude, ob dieses Ereignis, am 9. November wogen weit mehr, als meine Sorge darum, was nun auf uns zukommen wird.
Was für wahnsinnige Bilder, die damals über unsere Bildschirme flackerten. War es nicht ein irres Gefühl, das durch Deutschland ging? Fremde Menschen umarmten sich, lachten und weinten miteinander und irgendwie erschien das Leben auf einmal so leicht beschwingt, so als würde eine ganze Nation durchs Leben tanzen. Klar, bis zur endgültigen Vereinigung sollte noch ein weiteres Jahr vergehen. Dennoch war der Anfang getan und dieses Empfinden, war unbeschreiblich. Etwas, was ich seitdem auch nie wieder so oder so ähnlich erlebt oder empfunden habe. Die Uhren standen still, und zwar vom Norden bis zum Süden und ebenso, vom Westen bis hin zum Osten, wenn man so will, könnte man behaupten Deutschland hätte gleich zweimal die“ Stunde null“ erlebt. Einmal, am 8. Mai 45. und zum zweiten Mal, am 9. November 89.
Natürlich gab es auch schon damals Widersacher, Menschen, die einer Vereinigung mehr als skeptisch gegenüberstanden, solche, die meinten, es wäre besser, wenn der Osten ein souveräner eigenständiger Staat werden würde. Und selbst die westlichen Mächte, waren alles andere, als angetan, von einem Gesamtdeutschland. Zu groß, waren noch die Ängste, die man mit einem allzu großen Deutschland verband. Und dennoch haben wir es gewagt und getan und das trotz aller Bedenken und Vorurteilen.
Und jetzt stehen wir kurz vor dem 30 Jahrestag, einer Vereinigung, die alle wollten und heute mancherorts lieber wieder rückgängig machen würden! Zu mindestens, wenn man den neuesten Umfragen zur deutschen Einheit Glauben schenken will. Laut der Statistik möchte jeder dritte der Befragten der Aussage, die Wiedervereinigung sei „alles in allem gut“ nicht mehr zustimmen.
Willy Brands Satz: << es wächst zusammen, was zusammengehört<< erduldet keinen Widerspruch. Es war eine Aufforderung seinerseits dafür zu sorgen, dass genau das stattfindet, von dem man Jahrzehnte geträumt und gehofft hatte. Doch betrachten wir heute ganz realistisch unser Gesamtdeutschland, stellen wir fest, dass es noch immer genügend Vorurteile gibt, und zwar hüben wie drüben. Die Hälfte der Ostdeutschen hält Westdeutsche noch immer für „ Besserwessis „ und mehr als ein Drittel der Westdeutschen beschwert sich über die „ ewig jammernden Ostdeutschen“. Überhaupt empfinde ich die Bezeichnungen „ Wessi“ und „ Ossi“, als verachtend. Ist es nicht egal, woher ich komme? Sind wir nicht alle Bürger eines Landes, wenn auch jungen Landes, dass auf eine lange und gemeinsamen Geschichte zurückschauen kann? So sollte es eigentlich sein und doch ist die Realität eine völlig andere.
Auch aus meiner Euphorie vor über dreißig Jahren ist nicht viel geblieben. Meine Hoffnung, eines Gesamtdeutschenstaates auf emotionaler Ebene, hat sich irgendwie nicht erfüllt. Das mag jetzt traurig klingen und dennoch ist es so. Noch immer trennt uns mehr, als uns verbindet und manchmal habe ich das Empfinden, als waren wir damals, zu Zeiten der Mauer weitaus mehr ein Volk gewesen, als heute mit all unseren gemeinsamen Freiheiten.
Aber warum ist das so? Weil, trotz redlichem Bemühen von beiden Seiten selten wirklich tiefe Freundschaften entstanden sind. Ausnahmen bestätigen auch hier, wie immer die Regel. Familienbande, die zu Zeiten der DDR so stark waren, wichen, im Laufe der Jahrzehnte einer konstanten Gleichgültigkeit und das nicht nur in der Familie meines Mannes. Und für Menschen wie mich, die weder Onkel noch Tante oder andere Verwandten im Osten hatten und für die, die DDR dann doch nichts weiter war, als ein fremdes Land, blieb trotz anfänglicher Euphorie am Ende, die große Emotionalität aus. Unsere Neugierde, auf das andere Deutschland, damals, nach dem Fall der Mauer reichte bei weitem nicht aus, um alle Gräben zu überwinden und, um unsere dann doch so unterschiedliche Sicht und Lebensweise auf einen Nenner zu bringen. .
Natürlich, ergaben sich ein paar lose Bekanntschaften. Ich kenne kaum jemanden, der nicht plötzlich Kollegen aus dem Osten hatte. Doch sie blieben einem fremd. Häufiger, als mir oder anderen lieb war, verstanden wir „ Wessis“ weder ihre Art der Kollegialität noch ihr Abschotten uns westlichen Kollegen gegenüber. Wenn sie sich beinah konspirierend, in den Pausen, zusammentaten und nicht gerade leise ihre Ansichten vertraten, dass in der DDR vieles viel besser gewesen war, als im Westen fühlte man sich schon manchmal persönlich angegriffen und rechtfertigte seine westliche Denkweise und sein westliches Zuhause. Die Bereitschaft sich mit ihnen auch außerhalb seiner Arbeitszeiten zu treffen, war daher eher gering. Die einzige deutsch- deutsche Zusammenführung, die bei uns, innerhalb meiner Familie stattfand, war die Hochzeit meines Neffen, zwanzig Jahre nach dem Mauerfall.
Die Mauer ist verschwunden. Die, in den Köpfen so vieler Bürger jedoch nicht! Und mittlerweile erscheint es mir auch, als würde diese „ innere Mauer“ allmählich, die Höhe der Eiger Nordwand annehmen. Klar, reisen wir von Hamburg nach Rügen, von Berlin in die Sächsische Schweiz und vom Husum ins Erzgebirge und umgekehrt und dennoch bleiben viele „ Wessis“ auf ihren Reisen Fremde im eigenen Land und viele Ossis auf ihren Touren durch alte Bundesländer. Neulich erst, war ich in Schwerin und ich hatte nicht das Gefühl, als wäre ich in meinem eigenen Land und wirklich gern gesehen. Natürlich trügen Gefühle. Aber, wenn so viele ebenso wie ich empfinden, mag vielleicht doch etwas Wahres dran sein. Eine Bilanz , die nach 30 Jahren Zusammenführung, nicht gerade mutig stimmt. Insofern, ist die Frage „ Freuen Sie sich schon“ eine, die man nach all den Jahren durchaus kritisch betrachten darf. Im Duden steht unter dem Begriff Freude übrigens folgendes:
Gefühl des Frohseins, „eine tiefe Freude“ und gehoben bedeutet es sogar; alles Beglückende, Schöne.
Meine Freude darüber ist verhalten. Ich würde mich gerne weitaus mehr über diesen Tag freuen können und liebend gerne lauthals rufen. << Ja, wir sind eins, wir sind ein Volk, wir denken, handeln und leben nach ein und demselben Prinzip und verfolgen das gleiche Ziel<<
Und dann denke ich jedoch an die hohe Bereitschaft im Osten sich wieder erneut einer Politik anzuschließen, die wir als längst überwunden geglaubt hatten, denke, an all diejenigen, die beinahe mit Hass in Richtung Westen blicken, sehe Menschen hüben wie drüben, die lieber heute, als morgen, die Mauer wieder hochziehen würden, spüre meine Sorgen und Ängste, in Hinblick auf die politischen Ergebnisse in Sachsen und Brandenburg und , ob ich will oder nicht, verhallt meine leise Freude im dunklen Kämmerlein.
Wäre ich ein Chirurg und Deutschland mein Patient, würde ich ohne zu Zögern sagen: << Die Operation ist gut verlaufen und dem Patienten geht es den Umständen entsprechend gut. Er ist auf dem Weg der Besserung, aber noch immer nicht über den Berg. Wenn die Medikamente anschlagen und der Patient, an all die ihm angebotenen Rehabilitationsmaßnahmen teilnimmt und diese auch will, wird es sicherlich irgendwann zu einer dauerhaften Gesundung führen
Er lebt und das gibt berechtigte Hoffnung!
Denn, um zusammenzuwachsen und das wissen wir ebenso im Westen, als auch im Osten, bedarf es mehr, als unendliche Reisefreiheit, ein Land ohne Grenzen, das Recht auf Meinungsfreiheit und Wohlstand. Um das zu erreichen, bedarf es den festen Willen, offene Bereitschaft etwas wirklich verändern zu wollen, gemeinsame Vision und ein Ziel.
Vor allen Dingen jedoch MUT!
In diesem Sinne
Herzlichst eure Lilo.