Halt die Welt an, oder einfach Slow Motion und warum dies bei modernen Menschen kaum noch möglich ist.
Vor vielen Jahren hatte ich mir tatsächlich eine CD von unserem Schmusebarde Howard Carpendale gekauft. Warum, kann ich heute eigentlich gar nicht mehr so genau benennen. Höchstwahrscheinlich jedoch, weil es damals in meine aktuelle Gefühlswelt passte. Wie auch immer. Auf dieser CD gibt es einen Song mit dem Titel Slow Motion. Er handelt davon, dass man nur allzu gerne genau die Zeit, die einem als die Schönste vorkommt so langsam wie möglich erleben möchte. Nun passiert es nicht oft, dass man im tagtäglichen Alltagstrott derartige Gedanken hegt. Meistenteils benötigt man dazu ganz bestimmte Ereignisse oder Erlebnisse, die einen auf sonderbarerweise tief berühren , oder ganz schlicht schmerzlich bewusst macht, das Zeit vergänglich ist. Dass es so ist, wird einem doch immer erst wieder sehr klar, wenn man mal wieder einen runden Geburtstag feiert, die eigenen Kinder zur Schule , oder aus der Schule entlassen werden , man irgendein Jubiläum feiert oder plötzlich und sehr erstaunt feststellt, dass man nur noch ein paar Jahre arbeiten muss bis zur Rente. Genau in diesen Momenten fragt man sich „ Wo um alles in der Welt ist bloß die Zeit geblieben“? Dass schlimme daran ist nicht, dass Zeit vergeht und unwiderruflich vorbei ist, daran können wir nichts ändern, sondern, dass wir meistenteils so viel in unser Leben hineinlegen, dass wir gar nicht mitbekommen, wie rasant das Leben an uns vorbeirauscht.
Ja. Wir leben in einer schnelllebigen Zeit. Alles muss rasch und möglichst schon gestern erledigt sein. Für nichts und niemanden nehmen wir uns wirklich die Zeit und Ruhe, die man eigentlich benötigt, um etwas intensiv erleben zu können. Schon morgens auf dem Weg zur Arbeit wird gehetzt. Mit einem Coffee to go und einem belegten Brötchen in der Hand fängt es an und hört erst am Abend auf, wenn wir zu Bett gehen. Wir packen in unseren Alltag so viel hinein, dass einem schon vom Zusehen ganz schwindelig wird und selbst an den Wochenenden müssten wir uns eigentlich klonen, um all die Dinge erledigen zu können, die wir uns für diese kurze Zeitspanne vorgenommen haben. Kein Wunder also, dass ein Jahr schneller um ist, als wir bis drei zählen können. Ehrlich, da wundert es mich nicht mehr, dass die neue Volkskrankheit „ Burn out „ heißt. Statistisch gesehen erkranken mehr Frauen an psychosomatischen Erkrankungen als Männer und durchschnittlich entfallen in der Altersgruppe 20 bis 24 beinah 94,9 Krankheitstage pro 1000 Arbeitnehmer. In höheren Altersgruppen sieht es noch viel extremer aus. Natürlich sind die beruflichen Anforderungen heute anders als noch vor 20, oder 30 Jahren. Und vieles, von dem, was uns Menschen heute krank macht, mag sicherlich auf die hohen Anforderungen im Berufsleben zurückzuführen sein. Aber nicht alles. Irgendwie habe ich manchmal das Gefühl, als hätten wir Modernen Menschen verlernt inne-zuhalten und einfach mal nichts zu tun. Es ist ja schon beinah sträflich faul herumzuliegen ohne in Aktion zu verfallen. Es sei dann man befindet sich im Urlaub, und selbst da versucht man möglichst in den 14 Tagen so viel hineinzulegen, dass man am Ende seines Urlaubes gleich neuen braucht, um sich vom alten zu erholen. Müßiggang ist für viele nur noch ein Fremdwort und so schwer zu verstehen wie das Bayerische für einen norddeutschen Fischkopp. Um es in deren Sprache auszudrücken:
Mal Budder bei die Fische
Wer liest heute noch in aller Ruhe ein Buch? Der Moderne Mensch bevorzugt Hörbücher und während man via Kopfhörer der Geschichte seiner Wahl lauscht, kann man gepflegt nebenbei Rasen mähen, Einkaufen oder andere Dinge erledigen.
Schon Benjamin Franklin riet 1748 einem jungen Geschäftsmann „ Remeber that Time is Money“ und daran hat sich in all den Jahrhunderten rein gar nichts geändert. Seit Einführung der „ Uhr-Zeit“, im Gegensatz zur „ Natur-Zeit „ oder der „ Ereignis-Zeit“, sitzt uns Menschen dieser Ausspruch im Nacken und treibt uns an. Und wir, die Industrienationen haben uns nicht nur dieses Zitat auf die Fahne geschrieben, sondern , haben seit unendlich vielen Jahren ein so starres Zeitkorsett, das uns zwar finanziellen Reichtum eingebracht hat , aber durch die möglichst straff ausgerichtete Ausnutzung der Zeit in Verbindung mit immer höheren Arbeitsgeschwindigkeiten auch den höchsten Krankheitsstand an Modernen Zivilisationskrankheiten.
Ein Sonntag im Bett ist gemütlich und so nett, lautete eine Zeile eines Gassenhauers der siebziger. Mal ehrlich, wer kann heutzutage schon einen ganzen Sonntag im Bett liegen. Es sei dann man ist krank, hat Fieber und benötigt diese Ruhe und selbst dann, gibt es mittlerweile Mittel, die einem binnen der nächsten 12 Stunden so fit machen, dass man glatt einen Marathon mitlaufen, oder 24 Stunden durcharbeiten könnte. Übrigens finde ich, dass derartige Werbung verboten gehört. Aber das ist eine völlig andere Geschichte. Bei der Hetze und Hektik unserer Zeit, bleibt der Wunsch, Zeit in Slow Motion erleben zu können, wohl doch eher ein frommer als realistischer Wunsch. Solange wir Modernen Menschen uns selbst beinah tagtäglich die Chance stehlen unser Leben langsamer erleben zu können, solange wir uns an Aktivitäten gegenseitig übertrumpfen und wir wie ein Hamster im Rad durchs Leben laufen, immer höher, immer schneller , immer weiter, wird sich nichts ändern. Wer heute nichts Aufregendes erlebt, nichts erreicht und Müßiggang dem bunten Treiben vorzieht ist und bleibt auf der Verliererstraße.
Ich habe mir übrigens neulich diesen Song mal wieder angehört und irgendwie hab ich das Gefühl, dass es für mich auf alle Fälle an der Zeit ist, mein Leben ein wenig mehr in Slow Motion zu erleben. Nicht nur die tollen Ereignisse, die Geburtstage, die Jubiläen oder was da sonst noch alles kommt. Nein. Ich meine, mein Leben und alles was damit zusammen hängt. Ich möchte einfach nicht mehr rennen und mir selbst beim Überholen zusehen.
Ich möchte genießen, möchte erleben aber vor allen Dingen leben, mit allen Sinnen, mit Herz und Verstand-------- aber eben auch so langsam wie nur irgend möglich, damit ich nichts, was wichtig ist verpasse. Das weiße Kaninchen aus Alice im Wunderland findet bei mir kein Zuhause mehr.
In diesem Sinne
Herzlichst eure Lilo