Junge Menschen sind heute nicht dümmer. Sie sind anders und warum, ist einfach zu erklären.
Neulich hab ich gelesen, dass junge Menschen von heute immer dümmer werden. Ehrlich. Ich kann mir das gar nicht vorstellen, wenn man bedenkt, dass mittlerweile jedes dritte Kind nach der Grundschule zum Gymnasium geht. Schon längst haben Schulformen, wie Haupt- und Realschule ausgedient. Heute schickte man sein Kind entweder auf eine der Stadteilschulen oder zur Königsklasse aller Abschlüsse, die man erreichen kann, dem Gymnasium. Und selbstredend wird hier ebenso gepaukt, wie zu meiner Zeit. Also, was ist los mit und in unseren Schulen, wenn solche Behauptungen in die Welt gesetzt werden? Sind die Kinder von heute oder morgen wirklich dümmer als wir es waren? Oder sind unsere Ansprüche heute höher als damals?
Als ich die Schulbank drückte, was nicht nur gefühlt mittlerweile Jahrzehnte her ist, galt noch die gute alte Regel „ Lerne fürs Leben“. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie wir im Mathematikunterricht in verschiedenen Ecken der Klasse standen und aufmerksam unserem Lehrer zuhörten, wenn er uns kleine oder große mathematische Rechenaufgaben stellte, die wir natürlich lösen mussten, um zur nächsten Ecke der Klasse zu kommen. Oft war es ein wildes Durcheinander, wenn gleich mehrere meiner Mitschüler einschließlich meiner Person lauthals die richtige oder auch schon mal die falsche Lösung durch den Klassenraum schrien.
Peinlich war es niemanden. Es sei dann man stand am Ende immer noch in der Ecke, in der man schon zu Beginn der Unterrichtsstunde gestanden hatte. Um ehrlich zu sein, gehörte ich nie zu den Siegern oder den ersten, die die nächste Ecke erreicht hatten. Mathematik war nie mein Steckenpferd und bisweilen habe ich dieses Fach gehasst, wie die Pest. Aber geschafft habe ich es dennoch immer. Das war ich meinem Ehrgeiz schon schuldig. Und wer, von uns Älteren, kennt nicht noch die vielen unangemeldeten Diktate? Ganz zu schweigen von den vielen Gedichten , die wir mühevoll auswendig lernen mussten, bis wir sie einwandfrei und selbstredend mit genau der passenden Betonung vor der Klasse vortragen konnten? Ich sage nur „ Herr Ribbeck von Ribbeck im Havelland“. Aber es sitzt noch heute! Zu mindestens der erste Vers kommt noch immer wie aus der Pistole geschossen, wenn man mich danach fragt. Im Erdkundeunterricht mussten wir tagelang alle Länder und deren Hauptstädte aufsagen, bis sie uns zu den Ohren wieder herauskamen. Damals war es für so manchen Schüler eine Quälerei. Aber ich kenne niemanden, meiner Generation, der sie heute nicht noch aufsagen könnte, ohne einen einzigen Fehler zu machen. Man wusste einfach, wo welche Stadt lag, welcher Fluss an ihr entlang floss und man kannte die Namen der wichtigsten Politiker. Allgemeinbildung wurde hoch geschrieben und Sätze wie << lerne und behalte << oder << das sind alles Dinge, die man wissen muss<< haben uns sicherlich geprägt. Und, weil Wissen auch Spaß machen kann, spielten wir oft und gerne, mit unseren Freunden oder mit der Familie das beliebte Spiel „ Stadt, Land, Fluss“. Ein Spiel , was den meisten heute eher unbekannt sein darf.
Letzte Woche erhielt ich so ein lustiges Video. Von Zeit zu Zeit kursieren sie im Netz und jeder, der mag, kann sich darüber lustig machen. Meine Freundin schickte es mir per Whats up, mit dem kleinen Hinweis <<, ob es uns auch so ergehen würde? <<. Im ersten Moment wusste ich nicht, ob ich darüber lachen oder weinen sollte und am Ende war ich eigentlich nur schockiert. Mein erster Gedanke war allen Ernstes, das ist ein Fake. So dumm können selbst heutige Schüler nicht sein und erst Recht nicht eine ganze junge Generation!
Ich meine, wie dumm muss man sein, um auf die einfache Frage, wer zu Zeit des Mauerfalles Bundeskanzler war, mit Stalin zu antwortet? Oder die alten Grenzen zwischen BRD und DDR einfach quer durch unsere Republik zu ziehen und mit Überzeugung zu behaupten, Norddeutschland war Ossiland und darunter war Wessiland. Dass man vielleicht das Konterfei von Kohl, mit dem von Honecker verwechseln kann oder nicht ganz genau weiß, wie die Hauptstadt von Portugal lautet, ist mit viel Nachsicht noch zu entschuldigen. Aber wissen, wo Berlin liegt, sollte man schon und diese Stadt nicht einfach an die tschechische Grenze setzen, selbst dann nicht, wenn mittlerweile eine ziemlich lange Zeit vergangen ist. Mir fiel ein , dass ich vor ein paar Monaten , in einer renommierten Zeitschrift, genau zu diesem Thema einen Artikel gelesen hatte. Natürlich gab man, in diesem Beitrag, unserem Schulsystem die Schuld und machte es an der Unfähigkeit mancher Lehrkörper fest , die eben nicht mehr in der Lage sind anständig zu unterrichten. Soziale Aspekte fanden auch ihren Platz und wurden ausführlich und mit Inbrunst erörtert.
Für mich als Kolumnistin natürlich ein gefundenes Fressen. Natürlich könnte ich noch eine Schaufel dazu legen und mit Entrüstung darüber schreiben. Tue ich aber nicht, weil die Frage, warum junge Menschen von heute so wenig Allgemeinwissen haben, eine ist, die mich in den letzten Tagen beschäftigt hat. Ist es wirklich so, dass sie dümmer sind, als wir es vor zwanzig, dreißig oder vierzig Jahren waren?
Nein. Die Antwort ist ziemlich einfach. Man lernt heute anders. Der gute alte Spruch, dass man fürs Leben lernt, hat ebenso ausgedient, wie die dreieckige Milchtüte, in der großen Pause. Selbstredend werden nach wie vor die Hauptstädte und Länder dieser Erde gepaukt und man lernt auch die vermeintlich unwichtigen Dinge, wie die Namen verschiedener Politiker, und selbst das eine oder andere Gedicht wird heutzutage noch auswendig gelernt. In groben Zügen wissen die meisten jungen Menschen auch noch wer Goethe und Schiller waren und haben den Namen Mozart schon irgendwann gehört. Nur, die Zusammenhänge sind nicht immer allen bewusst. Alles schon selber erlebt. Bei drei Kindern, die allesamt ihre Schulzeit erfolgreich durchlebt haben, weiß man worüber man redet. Der Unterschied zu damals ist, dass dieses Wissen selten abgefragt wird und man es auch im alltäglichen Alltag kaum noch benötigt. Und wenn, dann hat man Wikipedia und Co, die einem tagtäglich aus der Patsche helfen, wenn nötig. Die eigene Festplatte wird nicht mehr dazu benutzt, um das erlangte Wissen ein Leben lang mit sich herumzutragen. Was man nicht mehr braucht, wird gnadenlos gelöscht, weil man seine Kapazität für andere Dinge viel dringender benötigt. Unser Leben ist so rasant geworden, wichtige Ereignisse passieren oft im Minutentakt und , dass Politiker Jahrzehnte bleiben - Ausnahmen bestätigen hier, wie immer die Regel, kommt doch eigentlich nur höchst selten noch vor.
Junge Leute haben ein anderes Wissen als wir damals. Mühelos können Sie sich über Bits und Bytes unterhalten, wissen, wie man sich im Netz zurechtfindet, denken global und reden oftmals Englisch als wäre es ihre zweite Muttersprache. Sie kennen die neuesten ökologischen Fortschritte, blicken mühelos hinter die Fassade fremd klingender globaler Entwicklungen und wissen, alle technischen Errungenschaften für sich aufs Beste zu nutzen. Wo uns Alten die Köpfe rauchen, kommen die Jungen erst so richtig in Fahrt. Mein zwanzigjähriger Spross meinte neulich, wozu ist es wichtig, zu wissen, wie das Gedicht von Schillers Glocke geht. Das bringt mich nicht weiter. Wichtig ist zu wissen, wie die Welt funktioniert und wie ich den besten Nutzen für mich herausziehe um gut leben zu können.
Und Recht hat er. Wer heute in der globalen Welt bestehen möchte, muss weder Schillers Glocke kennen noch den guten alten Ribbeck zitieren. Ja, man benötigt noch nicht mal das Wissen, ob die Toskana jetzt in Italien liegt oder doch in Spanien. Es sei dann man möchte seinen nächsten Urlaub dort verbringen oder wird Teilnehmer am literarischen Quartett. Dass es vielleicht dem einen oder anderen traurig erscheint, steht auf einem anderen Blatt Papier.
Junge Menschen von heute lernen durchaus noch fürs Leben, und zwar durch das Leben selbst. So wie wir letztendlich auch unser Wissen verfeinert haben durch all die Dinge, die wir im Erwachsenen Alter erlernt und erlebt haben. Daran hat sich nichts geändert. Aber anders als bei uns schleppen sie nicht als Fracht noch zusätzlich ein riesengroßes Paket an unnützem Allgemeinwissen mit sich herum, das es gilt möglichst für alle Zeiten zu konservieren und zu behüten, wie den Schatz der Azteken. Sie sind nicht dümmer als wir nur anders und ich denke, daran zu denken, wenn wir uns das nächste Mal über falsche Antworten amüsieren oder aufregen ist ein guter Anfang. Ich bin fest davon überzeugt, dass diejenigen, die man auf diesen amüsanten Videos zu sehen bekommt, nach wie vor Ausnahmen sind und keineswegs wirklich die junge Generation widerspiegelt. Kommt man nämlich dazu sich mit einigen der jüngeren Generation zu unterhalten wird man erstaunt sein, dass da durchaus noch genügend Allgemeinwissen im Hinterstübchen vorhanden ist. Man muss nur etwas Geduld haben, bis die eigene Festplatte dieses verborgene Wissen freiwillig wieder herausspuckt.
In diesem Sinne
Herzlichst eure Lilo