Nie wieder oder, die Frage nach Schuld und Sühne.
Ich merke gar nicht, wie mir meine Tränen die Wangen herunterlaufen. Und dennoch weine ich. Weine, weil ich eine Sendung schaue, die mich schon bei seiner Erstausstrahlung 1979 zu Tränen gerührt hatte. Damals, gerade mal achtzehn Jahre alt, berührte mich die Geschichte so sehr, dass ich mich jahrelang dafür schämte Deutsche zu sein. Und heute, 40 Jahre später, spüre ich erneut, wie sich mein schlechtes Gewissen den Weg hoch zu meinem Hirn frisst und sich, trotz des Wissens, dass ich nicht daran schuld bin, mein Herz und mein Verstand mit Scham erfüllt. Ich kann nichts dagegen tun, heule, wie ein Schlosshund, als ich in einer originalen Aufnahme sehe, wie tausende von Juden, Roma und anders denkende hingerichtet werden. Hingerichtet, nur, weil sie einem anderen Glauben angehören oder dem Regime, das von sich behauptete, die einzig wahre Rasse zu sein, nicht menschenwürdig genug erschienen.
Natürlich ist die Geschichte der Familie Weiss, in dem Film Holocaust fiktiv. Und gleichzeitig ebenso real denn genauso ist es damals vor über achtzig Jahren geschehen. Ich höre noch meinen Vater, 1944, siebzehnjährig, zum Volkssturm eingezogen, wie er, wenn ich ihn als Teenager fragte, mir zur Antwort gab<< davon haben wir nichts gewusst<<. Glauben, konnte ich es weder damals und heute erst Recht nicht. << davon haben wir nichts gewusst<< steht stellvertretend für, << davon wollten wir nichts wissen<<. Und ja, manchmal habe ich das Gefühl, wir stehen heute , wo anscheinend Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und rechtes Gedankengut erneut fruchtbaren Boden findet, an der gleichen Stelle, wie unsere Großeltern und Eltern damals.
Unsere Geschichte, so fern sie uns auch heute, nach 74 Jahren erscheinen mag, darf nicht in Vergessenheit geraten. Selbstredend können wir sie nicht ungeschehen machen. Aber wir können zeigen, dass wir aus den Fehlern unserer Großeltern und Eltern gelernt haben. Dürfen uns nicht erneut an einer rechten Politik und an deren Gedankengut orientieren.
Verurteile ich meine Großeltern und Eltern? NEIN. Das tue ich nicht, denn sie lebten in einem System, das keine Freiheiten, weder im Handeln noch im Denken zuließ. Diejenigen, die es taten, haben teuer mit ihrem Leben bezahlt. Dennoch mag in mir ein Gedanke nicht schweigen. Was wäre gewesen, wenn meine Großeltern zu einer Generation gehört hätten, die den Mut gehabt hätten, sich gegen diese Schreckensherrschaft zu Wehr zu setzten? Damals, zur Machtübernahme 1933? Ob sie zu schwach oder zu verblendet von den Versprechen der Nazis waren, möchte und kann ich nicht beurteilen. Aber, vielleicht, wenn sie es getan hätten, wäre den Juden das Leid erspart geblieben? Aber unsere deutsche Geschichte verlief anders und letztendlich hat sich ein ganzes Volk am Völkermord beteiligt. Hat den Lügen der Nazis geglaubt und sich vor deren Karren spannen lassen.
Der eine oder andere mag heute sagen, das ist doch schon alles so lange her. Ja, richtig, es sind achtzig Jahre seit Kriegsende vergangen. Achtzig Jahre , in denen wir lernen durften, dass es eigentlich keine Unterschiede zwischen uns Menschen geben darf. Niemand kann etwas für seine Herkunft oder dem Glauben, mit dem er aufwächst. Und dennoch hört man heute erneut Parolen und stellt sich als Nationalität über eine andere. Trumps<< Amerika first<< ist nicht der einzige nationale Ruf, den man vernehmen kann.
In den letzten Tagen durfte man wieder viele Worte und sicherlich aufrichtige Entschuldigungen von Politikern aller Parteien hören. Feierstunden, in denen man den letzten Überlebenden versicherte , dass so etwas nie wieder passieren darf. Und dennoch erscheint es mir heute ein Versprechen zu sein, dass es schwer sein wird aufrechtzuerhalten, wenn man bedenkt, in welchem rasanten Tempo überall auf der Welt, nicht nur in Deutschland, die nationalen Parteien erneut Zulauf erfahren dürfen.
Mir wird übel, bei dem Gedanken, dass sich rechter Populismus weiter ausbreitet, wie ein Geschwür und sich die Masse stumm und tatenlos wie damals zeigt. Ja, vielleicht sogar später ebenso behauptet, sie hätten nichts gewusst oder konnten nichts dagegen tun. Dabei ist es offensichtlich, dass rechte Parteien, wie der Rattenfänger von Hameln, durch die Lande ziehen und erneut ihre Lügen und falschen Ideologien verbreiten. Ich dachte eigentlich immer, dass wir Deutschen und die Welt aus der Geschichte gelernt hätten? Möchte daran glauben, dass es heute anders ist und will daran festhalten, dass eine Mehrheit heute nicht davor zurückschreckt sich zu wehren. Aufstehen und ein entschiedenes NEIN zu sagen, ist heute wichtiger denn je. Damit eben nicht genau wieder das passiert, was damals möglich war, weil ein ganzes Volk geschwiegen hat und sich zum Werkzeug einer fatalen und menschenverachtenden Ideologie hat machen lassen.
Neulich hat mich jemand gefragt, warum ich mich so häufig öffentlich gegen erneute Naziparolen und Ideologin stelle und meine Meinung öffentlich poste. Nun, ich will ehrlich sein. Ich empfinde es, als meine Pflicht es zu tun. Als erste Nachkriegsgeneration und zu der darf ich mich durchaus noch zählen, denn eine Generation währt 25 Jahre, kann ich nicht behaupten, dass ich von dem Gräuel des Naziregimes nichts gewusst hätte. Natürlich waren wir, die nach 1945 geboren sind, nicht daran beteiligt. Aber unsere Großeltern und Eltern sehr wohl. Wir konnten fragen und vielleicht hat der eine oder andere unter uns auch ehrliche Antworten erhalten. Feierstunden und Gedenkstunden, wie die gestern im deutschen Bundestag sind wichtig, denn nur so gerät nichts in Vergessenheit. Von denen, die die Gräuel Herrschaft überlebt haben und dem unsinnigen Töten der Nazis entronnen sind und diejenigen, die es zu verantworten hatten, sind nur noch wenige am Leben. Zeitzeugen, wird es schon bald nicht mehr geben. Umso wichtiger ist es, dass wir die Vergangenheit und somit unsere dt. Geschichte nicht aus den Augen verlieren.
Der Zweite Weltkrieg war ein Kampf zwischen Gut und Böse, dessen Höhepunkt das Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde. Wir wissen heute, dass über 6 Millionen Juden , davon alleine über 1.5 Millionen Kinder umgebracht und als wertlos betrachtet wurden, ohne daran zu denken, dass es sich hier um Unschuldige handelte. Es mag uns heute als nachfolgende Generationen nicht gefallen und dennoch, das Erbe unserer Großväter und Väter, tragen wir Deutschen von Generation zu Generation weiter. Wir dürfen nicht zusehen, wenn heutige Politiker oder Parteien erneut zu Fremdenhass, Ausgrenzung und Antisemitismus aufrufen. Antisemitismus und Fremdenhass sind böse und abgrundtief schlecht. Es sät keinen Frieden, sondern Hass und womöglich eine erneute Schreckensherrschaft. Noch mögen Parteien, wie die AFD und deren verantwortlichen Mitglieder lediglich einige unter uns, mit ihren Ideologien verblenden. Doch die Macht, ein bewährtes und gutes politisches System, wie unsere Demokratie und offene Weltpolitik, in der kein Platz für Fremdenhass und Antisemitismus ist, zum Wanken zu bringen, die besitzen sie noch nicht. Aber eine Masse, die hirnlos und jubelnd deren rechte Parolen anstimmen können das Schiff mit Mann und Maus zum Untergehen bringen. Dass es nicht soweit kommt, dafür müssen wir Andersdenkende sorgen. Nicht nur heute , sondern für alle Zeiten.
Prof. Dr. Alexander Fried, einer der letzten Überlebenden des Holocaust, setzt sich seit Jahrzehnten dafür ein, dass nichts von alldem vergessen wird. In einem seiner Vorträge, vor Schülern eines Gymnasiums, sagte er erst vor kurzem einen, wie ich finde entscheidenden Satz:
<< Ihr seid überhaupt nicht verantwortlich für die Verbrechen. Ihr seid nur verantwortlich für die Zukunft<<
In diesem Sinne herzlichst eure Lilo
Halina Birenbaum
Ein unerwünschtes Thema.
Ich beginne zu erzählen.
Es fällt eine Frage
Schwer wie ein Stein
In Hebräisch, polnisch oder deutsch
Wir das Thema wieder „ Nazis“ sein?
Ich winde mich, stottere
Verteidige mich
Wie vor Gericht
Es ist für das Leben
Um ewiger Erlebnisse willen
Wegen all dessen, was den Menschen nahe ist
Liebe, Tränen, Hasse
Hier und nicht weniger dort
In den Tagen der Shoah
Was ist zu tun?
Ein unerwünschtes Thema
Unbeliebt
Beschämt den Erzähler
Beschuldigt den der gedenkt
zeichnet ihn
haftet an ihm wie ein Fluch
aus den Tagen der Shoah
Und doch lauscht der Mensch gebannt.