Lilo David 

Ihre Reise kann beginnen 

Sentimental Journey oder, von allzu viel Gefühlsduselei

Das kann ja heiter werden, dachte ich neulich, als ich beim Betrachten zweier Bilder, die meine  Söhne aus Jux via einer dieser witzigen und doch eigentlich überflüssigen Apps gemacht haben, mir augenblicklich Tränen in die Augenwinkel flossen. Es zeigte meine beiden Jungs, der eine dreißig, der andere einundzwanzig, wie sie aussehen werden, wenn sie siebzig Jahre oder älter sind.  Der Ältere von beiden, mit Schnauzer und kaum noch Haaren auf den Kopf, der Jüngere, weißhaarig, mit voller Lockenpracht und einem Aussehen, wie Santa Claus höchstpersönlich Mit zunehmendem Alter soll man ja weicher oder besser gesagt sentimentaler werden. Nicht, das erste Mal, dass mir einfach unvermittelt ein „ dicker Klos „ im Hals sitzt. Seit ein paar Monaten werde ich bei den Gedanken an meine Kinder oder meines Enkels so richtiggehend sentimental. Ein Zeichen, des herannahenden Alters oder nur eine kurze vorübergehende Phase, die ebenso rasch wieder vorbeigeht, wie sie gekommen ist? Ich hoffe, Letzteres trifft zu. Dass, meine Jungs Ihre Bilder witzig fanden und sich darüber amüsierten war klar. Im Grunde, war es das ja auch. Nur, dass ich irgendwie so überhaupt nicht in Ihr Lachen mit einstimmen konnte, war mir neu.

 Da saß ich und dachte die ganze Zeit<< Mensch, da musst du ja älter als Methusalem werden, wenn du dabei sein willst, wenn beide die siebzig überschritten haben<<. Die Aussicht 107 zu werden ist zwar verlockend, aber wer schafft das schon? Nicht, dass ich mir ständig Gedanken, um mein eigenes Alter machte. Aber so ab und an rutscht einem dann doch der eine oder andere klitzekleine Gedankenfetzen ins Hirn. Und plötzlich ist sie da, die Gewissheit, dass man von dem, was die eigenen Kinder oder Enkel, in weiter Zukunft erleben oder wie sie sein werden, wenn sie selber alt und  ihre Enkel auf dem Schoß wiegen, wohl selbst nicht mehr erleben wird. Ist schon blöd, die Sache, mit dem eigenen Ableben. Vielleicht schiebt man daher gerne Gedanken an die eigene Vergänglichkeit weit vor sich her. Nun bin ich mit Ende fünfzig  vom Alt sein auch noch weit entfernt oder zu mindestens bilde ich es mir ein und dennoch, wenn ich genau darüber nachdenke, fehlt mir auf meinem Metermaß dann doch schon ein ganz beachtliches Stück. Da nutzt auch kein Ziehen. Was weg ist, ist weg!

Der große Vorteil des Älter-werden sind sicherlich die positiven Veränderungen. Seit ich den Sprung von Anfang fünfzig zu Ende fünfzig überschritten habe, umhüllt mich eine wohltuende Gelassenheit. Ich rege mich schon längst nicht mehr über ungelegte Eier auf. Dass ich heute in aller Ruhe abwarten kann, wie sich gewisse Dinge entwickeln, empfinde ich als durchaus beruhigend. Ob ich wirklich bewusster lebe oder klüger geworden bin, lass ich an dieser Stelle einfach mal unbeantwortet. Ich glaube, es ist vielmehr ein Leben und leben lassen. Ein Ankommen bei sich selbst. Und, wenn man ehrlich mit sich ist, war die Suche danach doch auch ein fürchterlich anstrengender Weg. Selbstredend gibt es nach wie vor noch Dinge, worüber ich mich maßlos aufregen kann. Aber der Ärger darüber verfliegt heute wesentlich schneller und schwingt nicht noch tagelang nach.

 Dass, wir Menschen einer ständigen Entwicklung unterliegen ist uns allen bewusst. Man häutet sich zwar nicht ständig, wie eine Schlange, aber dennoch erfährt man genügend persönliche Veränderungen. Und das ist auch gut so, denn ohne Entwicklungen oder schöner ausgedrückt, einem ständigen Reifeprozess, würden wir doch nie dort ankommen, wo wir hoffen, im fortgeschrittenen Alter zu sein. Das hat die Evolution schon ganz gut eingerichtet. Von, auf allen vieren hin zu einem aufrechten Gang, Wissen, Klugheit und Weisheit  - darüber, ob man im Alter dann tatsächlich weise ist, kann man sicherlich unterschiedlicher Auffassung sein. Von manchen Zeitgenossen wird ja gerne behauptet, dass sie sich genau zum Gegenteil entwickelt haben! Dennoch, charakterliche Veränderungen bestimmen unser aller Leben. Davor gefeit ist keiner! Sollte dies jemand annehmen, so darf ich mit Fug und Recht behaupten, derjenige irrt. Aus jedem Hänschen wird irgendwann ein Hans und aus jedem Lieschen eine Lotte.

 Ist man jung, sucht man förmlich die Gefahr oder macht sich weniger Gedanken darum.  Möglichst viel erleben und am besten mit Siebenmeilenstiefel durchs eigene Leben laufen. Man schert sich nicht darum, was in fünf oder zehn Jahren ist. Mit dreißig wird auch der letzte Läufer etwas ruhiger und spätestens mit dem ersten Kind verändert sich das Leben um 180 Grad. Man wird vorsichtiger, umsichtiger und die Gedanken, was einmal sein wird, werden zu ständigen Begleitern. Vor Jahren las ich in einem Artikel, dass ein solches Verhalten kein Grund ist, an sich zu zweifeln oder etwas zu ändern. Es wäre sowieso vergebene Liebesmüh. Eltern sind immer darauf bedacht,  die Welt für die eigenen Kinder zu einem sicheren Ort zu machen. Dass es das oftmals leider und trotz aller Bemühungen nicht so ist, wissen wir alle.

Sind die eigenen Sprösslinge dann endlich aus dem Haus freut man sich auf die neu gewonnene Freiheit und glaubt, dass sich das << um sie sorgen<< ein für alle Mal in Luft aufgelöst hat. Erstaunt stellt man jedoch fest, dass das ganz und gar nicht so ist. Die Sorgen bleiben - nur die Kinder sind nicht mehr ständig vor Ort und erreichbar. Alles gut, denkt man, wozu sich darüber aufregen. Schlussendlich ein alter Hut, an den man sich lange genug gewöhnen konnte. Und dann schleicht sich hinterhältig eine eigenartige Sentimentalität ins Leben. Und plötzlich schießen einem Tränen ins Auge, weil man irgendwelche idiotischen Bilder sieht, von schrecklichen Ereignissen hört, dem Enkel beim Spielen zusieht oder in überschwänglichen Gefühlen versinkt, nur, weil das verloren geglaubte Kind einen nach einer gefühlten Ewigkeit mal wieder besucht.

Nach dem schrecklichen Ereignis in Frankfurt habe ich meinen Erwachsenen Kindern Whats App Nachrichten gesandt, mit der Bitte, sie mögen doch alle auf sich aufpassen und nicht zu nah an die Bahnsteigkante treten. Überhaupt versende ich neuerdings viel öfter kleine Nachrichten und verteile ungefragt Küsschen und Umarmungen. 

Ich will das nicht! Ich meine so sentimental sein, bleiben und bei jeder bietenden Gelegenheit womöglich in Tränen ausbrechen. Abgesehen davon, dass ich alle damit auf die Nerven gehe, wenn ich Ihnen irgendwelche mütterlichen, wenn auch lieb gemeinten, Nachrichten sende, empfinde ich es selbst als unpassend.   

Was ich will ist, unbeschwert hineinwachsen ins Alter. Ohne Pathos , Schnörkel und allzu großer Gefühlsduselei.  Ich möchte noch so viele Dinge tun, viel reisen, viel sehen und meinen Horizont erweitern. Jeden Tag aufs Neue den Tag und mein Leben in vollen Zügen genießen und mich an Kleinigkeiten erfreuen. Und ganz sicher wird der Spruch << Lebe jeden Tag so als wäre es dein letzter<< keiner, an den ich mich halten möchte. Denn das klingt für mich so endlich und überhaupt nicht positiv. Was ich nicht will ist, mich in übertriebener Sentimentalität hingeben, daran denken, was irgendwann sein wird und das ich mich womöglich nie im Dreivierteltakt mit meinem Enkel, auf seiner eigenen Hochzeit drehen werde. Ich will Leben und das mit allen Sinnen und ohne an klebrig süßer Sentimentalität zu ersticken oder mich in der Vergangenheit zu verlieren.  

Ingrid Bergmann schreib einst << mit dem Altwerden ist es wie mit Auf- einem – Berg – steigen: Je höher man steigt, desto mehr schwinden die Kräfte – aber umso weiter sieht man<<. Und genau das will ich. Soweit sehen wie nur möglich. Nicht ständig nach hinten blicken und an die Vergangenheit denken. Scheiß auf die Sentimentalität, auf den Klos im Hals und an trübe Gedanken. Wenn es überhaupt irgendeinen schlauen Vers gibt, an den ich mich in Zukunft halten möchte, dann wäre es der vom guten alten Theodor Fontane.

<< Alles Alte, soweit es den Anspruch darauf verdient hat, sollen wir lieben; aber für das Neue sollen wir eigentlich leben.

Und ich will verdammt sein, wenn es nicht noch hunderttausend, tolle, wunderbare und vielleicht auch positiv veränderte Dinge geben wird, die ich auf dem langen Weg zum Altwerden noch erleben werde. Dass das auch ohne große Gefühlsduselei geht und übertriebener Sentimentalität, davon bin ich felsenfest überzeugt. Marie von Ebener- Eschenbach schrieb dazu<< Aus dem Mitleid mit anderen erwächst die feurige, die mutige Barmherzigkeit; aus dem Mitleid mit uns selbst, die weichliche, feige Sentimentalität.

Also doch einmal mehr sich in den eigenen Hintern treten. Aufkommende Sentimentalität nicht wie einen Schatz hüten und liebkosen, sondern energisch und mutig in seine Schranken verweisen und, wenn, das alles nichts nutzt, ab damit in den Keller.  

In diesem Sinne

Herzlichst eure Lilo  

 

   

 

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