Lilo David 

Ihre Reise kann beginnen 

 Vom Amtsschimmel oder, warum es möglich ist nur halb zu existieren.  

Mal ehrlich! Kennen Sie nicht auch diese netten Zusammenkünfte unter Freunden und Bekannten, bei den irgendwann die Rede auf alte Fotos und Dokumente kommt und man vor lauter Freude, noch im Besitz eines solchen asbach uralten Dokuments ist,  seinen alten Führerschein zückt und halb amüsiert und halb entsetzt feststellt, wie man anno dazumal ausgesehen hat? Für enorme Lacher unter allen Beteiligten sorgen dann noch eventuelle alte Fotos, die man versteckt in den kleinen Seitenfächern seines Portemonnaies findet. In trauter Runde reicht man sich Foto für Foto, kommentiert mal nett, mal amüsant und bisweilen auch schon mal bissig das was man sieht. Neulich passierte genau das und da ich weder meinen Führerschein, der gehört nämlich ins Auto meint mein Mann,  noch ein altes vergilbtes Foto von mir in der Tasche hatte reichte ich  zur allgemeinen Erheiterung meinen Personalausweis in die Runde. Da kam doch prompt von der rechten Seite der belehrende Kommentar>> Du weiß aber schon, dass der abgelaufen ist? << Ach was, das wäre mir ja nie aufgefallen,  hätte ich am liebsten pampig geantwortet. Tat ich aber nicht, denn ich weiß ja was sich gehört. Was man von anderen nicht immer behaupten kann, denn es folgte ein ungefähr zwanzig minütiger Vortrag über die Pflichten eines Bundesbürgers und dem Tragen eines gültigen Personalausweises. Ehrlich. Ich hasse diese Art von Belehrungen und Besserwisserei. Als ob ich selber nicht wüsste, dass ich in dieser Sache ziemlich nachlässig, wenn nicht sogar wahnsinnig schlampig bin. Es ist nun mal so, dass ich den Gang zum Fotografen scheue wie der Teufel das Weihweiser und für einen neuen Ausweis muss halt auch ein neues Bild her. Kein neues Bild – kein neuer Ausweis! So einfach ist es. Gut, ich hätte vielleicht in den vergangenen – nein- ich sage jetzt  nicht wie lange der schon nicht mehr gültig ist,  Zeit und vor allen Dinge Muße finden können, meine PFLCHTEN gegenüber meinem deutschen Vaterland zu  erfüllen.

 Hab ich aber nicht- Shit happens.

Eigentlich, und ich sage  ganz bewusst eigentlich, weil es dann doch immer mal wieder Sachen gibt, die ich gerne auf die lange Bank schiebe, bin ich ein sehr zuverlässiger Zeitgenosse. Dank meiner Preußischen Erziehung, die ich in diesem Fall mal nicht verfluche, bin ich geradezu ein Paradebeispiel für Ordnung,  Pünktlichkeit und Verlässlichkeit. Man muss zwar nicht gleich übertreiben, aber dennoch würde  ich prompt behaupten, in diesen Punkten macht mir so schnell keiner etwas vor. Was ich zusage halte ich. Natürlich kann mir auch  mal etwas dazwischen kommen, schlussendlich bin ich  ja auch nur Mensch. Aber so allumfassend geht mir nichts Wichtiges durch die Lappen und dennoch kann ich manchmal meinen inneren Schweinehund nicht überwinden und schicke Dinge, die mir entweder zuwider, oder zu lästig sind gerne auf den Mond.  Da nutzt es auch nicht, wenn ich mich selbst an das berühmte Schlafittchen packe, mir hoch und heilig verspreche es gleich nächste Woche zu tun oder, mit mir selbst einen ellenlangen Dialog führe. Am Ende siegt immer der kleine faule Schweinehund. Es ist nicht so, dass ich es vergesse. Mein schlechtes Gewissen kann es bei manchen Dingen durchaus mit dem Mount Everest aufnehmen. Dennoch finde ich immer wieder neue wundervolle Entschuldigungen, warum ich dieses oder jenes immer noch nicht getan habe. Und ja, verdammt noch eins,  ein neuer Ausweis gehört eindeutig in diese Kategorie. Mir ist dennoch schleierhaft, wie es andere dazu ermutigt mir  Schulmeisterhaft einen Vortrag dazu zu halten oder, wie in meinem Fall damit zu kommen, mir in schönen verbalen Bildern auszumalen, welche drakonischen Strafen ich als Ausweis- Verweigerer zu erwarten habe.  Ich mag zwar solche Belehrungen nicht, dennoch hat der Vortrag erreicht, dass mein schlechtes Gewissen und das, obwohl ich mir wirklich Mühe gegeben hatte es an mir abperlen zu lassen wie die Seife beim Duschen zu einer Größer heranwuchs, die bei weitem den Mount Everest überragte. Jetzt wollte ich es aber genau wissen und bin gleich am nächsten Tag hin zum Amt. Natürlich hab ich mir eine plausible Entschuldigung einfallen lassen.  Wer gibt schon gerne  freiwillig zu ein vergesslicher, untreuer aber vor allen Dingen regelwidriger Bundesbürger zu sein? Mit  einem Gesichtsausdruck, der jeden Amtsschimmel hätte zu Tränen gerührt  stand ich also vor der Dame meines Vertrauens und fragte kleinlaut, was ich denn jetzt tun müsste, wo doch mein Ausweis schon so lange ein tristes und unbeachtetes Leben führte? Wenn meine Bekannte der Schulmeister ist, so war die Dame im Amt der Oberschulmeister aller Schulmeister, die ich je das Vergnügen hatte kennen zu lernen. >> Das geht nun gar nicht, sie sind ja faktisch gesehen nicht mehr existent <<  hörte ich sie sagen und dabei wurde ihr Gesicht immer röter und röter. Es folgte eine Strafpredigt, die aus mir binnen von Minuten ein armes kleines Sünderlein machte. Mensch, was fühlte ich mich mies und schlecht. War bislang mein Gewissen nur so groß wie der Mount Everest wuchs es nun zu einer Größe heran, die von hier bis zum Mond reichte. Genau der Platz , wo ich ja gerne all die Dinge aufbewahre, die ich ungerne erledige.  Was ich da noch alles fand, möchte ich hier nicht weiter ausführen.

 Wie nicht existent? Ich stehe doch hier bei bester Gesundheit, in voller Größe und mit den besten Absichten und dennoch behauptet diese Dame, dass ich nicht existieren würde. Ich muss wohl ziemlich dumm, oder entsetzt aus der Wäsche geguckt haben, denn die Dame vom Amt räumte  beruhigend ein, dass ich natürlich sehr wohl existieren würde, aber eben halt nicht überall. Nun verstand ich gar nichts mehr. Also nur halb und auch nur bei bestimmten Gelegenheiten? Mein Dilemma stand mir  mit leuchtenden Buchstaben und in Großbuchstaben über mein Haupt geschrieben. Dass ich nicht vor lauter Verzweiflung  darüber, nur ein halb  existierender Bundesbürger zu sein, anfing zu weinen, war weiß Gott  nicht ihrer Milde, sondern eher ihrer weiteren Ausführungen zu schulden, die mir nach und nach dann doch die eine oder andere belustigende Träne in die Augen trieb. Ohne gültigen Ausweis bin ich faktisch nicht mehr berechtigt am bürokratischen Leben teilzunehmen. Es ist mir unmöglich Geschäfte abzuwickeln, Konten einzurichten, Bankgeschäfte zu tätigen, zu verreisen, mich auszuweisen  und  selbstredend auch keinen neuen Ausweis zu beantragen. Da passte es ja gut, dass ich in naher Zukunft nicht  vorhatte all diese Dinge zu tun, außer natürlich mir endlich einen neuen Ausweis ausstellen zu lassen. Sofern ich es endlich schaffe zum Fotografen zu gehen, um ein neues Bild machen zu lassen. Von dieser Hürde hatte ich gottlob kein Wort erwähnt, wer weiß, was ich mir dann  hätte sonst noch alles anhören müssen. Nachdem nun also  geklärt war, was ich alles nicht mehr tun durfte oder konnte und Sie feststellte , dass ich ja nicht im Besitz eines gültigen Personalausweises war , um mich auszuweisen und somit  einen neuen Ausweis zu beantragen, war die Dame endlich bereit nachzusehen, was man in diesem Fall tun konnte.

Sie brauchen ein neues Foto und ihre Heiratsurkunde, verkündete sie mit Nachdruck.  Das wollte ich jetzt aber genauer wissen und hakte nach. Wieso  Heiratsurkunde und keine Geburtsurkunde? Faktisch,  und dabei sah sie mich an als wäre das  allgemein bekannt,   ist mit der Heirat meine Geburtsurkunde null und nichtig geworden. Nur per Heiratsurkunde könnte ich mich jetzt, wo ich  schon keinen gültigen Personalausweis mehr habe,  noch ausweisen und beweisen, dass ich genau diejenge bin, die ich behaupte zu sein.   Ach was, dachte ich. Nicht nur, dass ich mittlerweile zu einem halb existierendem Bundesbürger mutiert war, wird  es mir zukünftig auch nur noch möglich sein mich über meine Heiratsurkunde zu legitimieren. Im Geiste dachte ich an all die unverheirateten Frauen und fragte mich, was denn mit denen ist. Waren die faktisch alle nicht mehr existent, oder gar unmündig?   Ich wollte noch anführen, dass wir doch im 21 Jahrhundert leben und es völlig egal ist, ob ich verheiratet bin oder nicht und, dass es mich doch auch schon vor meiner Heirat als Person gegeben hat. Hab es dann aber doch sein lassen. Es hätte höchstwahrscheinlich nur noch für  mehr Verwirrung gesorgt und auf eine Grundsatzdiskussion in Sachen Emanzipation hatte ich gelinde gesagt wenig Lust. Nur eines musste noch geklärt werden und zwar  die  von meiner Bekannten angeführten drakonischen Strafen. Auf meine Frage, ob und was ich denn nun für meine Nachlässigkeit und Schlamperei an Strafe zu erwarten hätte, zog die Dame vom Amt ein Gesicht als hätte  ich sie geradewegs aufgefordert mir in kurzen Sätzen die Relativitätstheorie zu erklären. Vom Schock der Anfrage erholt bejahte sie meine Frage und räumte ein, dass das  im Ermessen der Amtsleiterin sein würde.

 Kennen Sie das, dass Sie bei bestimmten Äußerungen einfach ihren Mund nicht halten können? Da kann man noch so viel würgen und schlucken, das Wort muss einfach den Weg nach draußen gehen.  Genau so erging es mir an diesem Morgen. Erst der Umstand nur ein halber Bundesbürger zu sein,  dann die Sache mit der Heiratsurkunde und nun anscheinend  von  einer Amtsvorsteherin abhängig zu sein? Das ging mir verdammt gegen den Strich.  Vorsichtig fragte ich daher nach, wie man das interpretieren dürfte. Gute Laune keine Strafe, schlechte Laune saftige Strafe? Ich neige wirklich nicht zur Übertreibung aber ich glaube, in diesem Moment wäre mir der Amtsschimmel am liebsten an die Gurgel gesprungen oder hätte mir mit seinen Hufen  gerne in meinen Allerwertesten getreten. 

 >> Jetzt reicht`s >> hörte ich sie sagen. Und  Recht hat Sie…….

 fürs erste hab auch  ich vom Amtsschimmel und der Bürokratie die Nase gestrichen voll……

Übrigens…. 

Ich hab mir fest vorgenommen nächste Woche zum Fotografen zugehen, wenn ich es nicht wieder auf die lange Bank schiebe.  Aber da fällt mir ein. Hab ich als  halb existierender Bundesbürger überhaupt noch eine Berechtigung dies zu entscheiden? Immerhin handelt es sich hier doch um eine geschäftliche Handlung. Ach, wissen Sie was ?

  Am besten ich nehme meine Heiratsurkunde mit.

 Sicher ist sicher!  

 

In diesem Sinne

Herzlichst ihre Lilo…       

 

 

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