Lilo David 

Ihre Reise kann beginnen 

Was, kommt danach? Oder, warum etwas mehr Bescheidenheit gut tun würde.

Erinnern Sie sich noch an Ihre erste eigene Wohnung, an die Sommerferien mit Eltern und Geschwistern, an das erste Auto und die erste selbst bezahlte Urlaubsreise? Klar, liegt all das schon ellenlang hinter uns und es rückt auch nicht ständig in unseren Focus und doch, bei bestimmten Situationen, holt uns die eigene Erinnerung daran ein. Mich überkommt dann jedes Mal so ein eigenartiges Gefühl. Eine Mischung aus Stolz und dem Wissen, dass nichts so bleibt, wie es ist und, dass man für manches im Leben erst mal hart arbeiten muss.

 Mein erstes Auto war ein ziemlich altersschwacher Renault 4. Das ist der, mit der Revolverschaltung und den kleinen dreigeteilten Fenstern. Das erste Mal blieb ich schon nach einer Woche, mit defekter Batterie liegen und zwei Jahre später, habe ich ihn dann endgültig verschrotten lassen müssen. Kolbenfresser, mitten auf einer vierspurigen Straße. Das werde ich nie vergessen, wie ich am Steuer saß und aus der Haube meines Autos qualmte es, als wäre ich bei einer Brandübung der örtlichen Feuerwehr. Handy – Fehlanzeige! Ich musste bis zur nächsten Telefonzelle, um Hilfe zu holen. Dennoch, waren wir ein „super Team“  und ich liebte meinen orangen Schrotthaufen heiß und innig.   

Zu meiner ersten Wohnung fällt mir spontan der Begriff „renovierte Pappschachtel“ ein. Zwei Zimmer, eine nachträglich eingebauten Küche, die sich unter dem Treppenabsatz befand und dessen Stand- Höhe nicht mehr als höchstens 175 Meter betrug. Das einzig vorhandene Bad, war ein langer Schlauch, mit kleinem Fenster und knarrendem Holzboden. Stolz, wie Bolle, war ich am Umzugstag. Dabei bestand mein ganzer Reichtum lediglich aus meinem alten Schlafsofa, einem Schrank, zwei Holzstühlen und dem dazugehörigen Tisch,  einem alten Schaukelstuhl vom Sperrmüll und einer weiß- schwarzen Blumenbank, die ich irgendwo auf der Straße gefunden und einfach mitgenommen hatte, einem Karton alter Küchenutensilien aus mütterlichem Bestand und einem nicht mehr ganz taufrischem Teppich, der für seine Jahre aber noch ganz passabel war. Am Tag meines Umzugs überreichte mir meine Mutter, mit feierlicher Mine und den Worten<< aller Anfang ist schwer<< zwei neue Handtücher und Bettwäsche. Alles hübsch verpackt. Ach ja und das obligatorische Brot und Salz, damit es mir nie schlecht ergehen sollte und das Glück, in meine eigenen vier Wände Einzug hält.

Von der Welt, hatte ich ehrlich gesagt bis dahin noch nicht viel gesehen. Mit vierzehn war ich zum ersten Mal überhaupt in Urlaub. Damals ging es mit Eltern und Schwester ab an die heimische Ostsee und Mitte der Siebziger zog es uns, wie viele Familien damals, an den Goldstrand von Rumänien. Drei Wochen Urlaub für wenig Geld. Wir kamen uns vor, wie Kaiser und Königen. Natürlich kann man die Zeiten nicht mit der heutigen vergleichen. Zu mindestens sollte man es nicht tun. Und dennoch drängt sich ab und an dann doch ein gewisser Vergleich geradezu auf. Den Satz<< ich verstehe euch jungen Leute nicht mehr<< habe ich zuletzt, als Teenager gehört. Damals, stand ich mit Parka und Friedenstaube im Flur meiner elterlichen Wohnung und war für meine Eltern garantiert so etwas, wie die Reinkarnation von Guevara höchstpersönlich. Und ehrlich gesagt, hätte ich es nie für möglich gehalten, dass ich eines Tages einen eben solchen Satz denken, geschweige denn äußern würde. Und nun, ist es doch passiert! Das tut weh, macht sprachlos und gibt mir so ein Gefühl von „ jetzt wirst du aber komisch“.

 Vielleicht bin ich auch denjenigen ungerecht gegenüber, denen mein Unverständnis gilt? Denn nicht sie haben versagt, sondern wir, die sie erzogen haben. Das wirft Fragen auf, wie die, ob wir Eltern wirklich auf ganzer Linie versagt haben, ob wir vielleicht eine Abzweigung übersehen haben oder, ob es am Ende gar keine gab, die wir hätten nehmen können, weil die Entwicklung eine logische Folge unsere Zeit ist? Dennoch bleibt die Tatsache, dass viele jungen Menschen heute in uns Eltern die billige, eierlegende Wollmilchsau sehen und ihre Ansprüche an das eigene Leben eher, als obsessiv zu betrachten sind. Sind, wir noch in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass man sich alles erarbeiten muss und manches erst nach Jahren voller Schweiß und Arbeit erreichen wird, so wird seit Jahren den Kindern ihr Leben auf einem Silbertablett serviert. Natürlich hatten auch wir Eltern, die sich um unsere Zukunft sorgten, aber der Spruch>> ihr sollt es mal besser haben, als wir<< bezog sich eher auf Bildung, als auf Luxusgüter, teuren Urlaub oder einem Auslandsaufenthalt mit allen Schikanen. Bescheidenheit war keine Zier, sondern etwas, was wir von klein auf an gelernt hatten. Das Erwachsen-werden, war die Schule des Lebens und in Watte gepackt wurden die wenigstens unter uns.

Heute scheint Bescheidenheit absolut Out zu sein. Dazu muss ich gar nicht weit schauen. Ich sehe es oft genug in den eigenen Reihen. Neulich erzählte mir eine jüngere Freundin, von ihrer Bekannten, dessen Sohn ein Affenaufstand wegen des Urlaubes gemacht hatte. Statt Dubai ging es nur nach Spanien! Und eine Verwandte bietet ihrem Sprössling seit Jahren atemberaubende Reisen an. In diesem Jahr war es eine Rundreise durch einen Teil der USA. In was für eine Welt sind wir geraten?

Natürlich ändern sich Zeiten und das ist auch gut so! Aber manche Entwicklungen machen mir Angst und Sorge. Werte, wie Bescheidenheit und mit dem zufrieden zu sein, was man hat oder, was machbar ist, haben wir anscheinend unserem Nachwuchs nicht mit auf dem Weg gegeben. Anstatt sie auf ihrem Weg hin zum Erwachsen werden zu begleiten und nur dann helfen, wenn`s nötig ist, ermöglichen wir unseren Sprösslingen ein ständiges Leben im oberen Drittel. Nur das Beste ist gut genug!

 Heute wird neu gekauft und die erste eigene Wohnung gleicht beinah einer Luxusherberge. Alte Automobile gibt es höchstens noch im Museum. Wer heute seinen Führerschein zum Abitur oder früher geschenkt bekommt, erhält gleich einen möglichst neuen und hochwertigen Kleinwagen dazu. Das höher, schneller und weiter, ist Bestandteil unserer Gesellschaft. Selbstoptimierung ist kein Programm aus ferner Zukunft, sondern tagtäglicher Alltag. Für so manchen jungen Menschen reicht ein Studium schon lange nicht mehr aus. Absolut „ up to date“ ist das zweite – oder dritt- Studium oder man besucht gleich teure Privathochschulen, damit die Chancen, später einen Hochdotierten Job zu ergattern, gleich dreimal so hoch sind. Berufe, wie Katzen-Therapeut, Hunde- Masseurin und Hunde- Ernährungsberaterin und Vegan- Couch, sind angesagt, wie nie!  Wer heute innovativ und modern sein will, sucht sich möglichst einen Beruf aus, der nach „mehr“ klingt, und den perfekten „ Wow- Effekt“ besitzt. Dafür dürfen unsere Kinder auch gerne ein paar Jahre mehr studieren oder gleich mehrere Ausbildungen absolvieren. Absolut angesagt, bei der jungen Generation, sind Reisen quer durch den australischen Kontinent. Auch Neuseeland steht hoch im Kurs und, wer es etwas abenteuerlustiger liebt, der reist zu den Hochebenen von Peru oder wandert durch das Himalaja- Gebirge und hält sich ein paar Tage, zur schöpferischen Auffrischung in Tibet auf. Gesurft, wird nicht am heimischen See, sondern man reist dafür nach Brasilien, Hawaii oder macht Badeurlaub auf Bali. Das nötige Kleingeld dafür liefern die Sparbücher, die die eigenen Eltern selbstredend bereits am Tag der Zeugung für ihren Nachwuchs eingerichtet haben oder Mama und Papa spielen weiterhin für das Glück, die Abenteuerlust und dem Wohlbefinden ihrer Sprösslinge Zahlemann und Söhne.

Gewollt hat diese Entwicklung sicherlich keiner. Es war nicht mal böse Absicht, dass unsere Kinder heute einen Anspruch haben, der jenseits dessen liegt, was wir noch als normal ansahen. Selbstredend, hatten auch wir unsere „gehobenen Ansprüche“. Aber ich kann mich sehr gut daran erinnern, dass unsere Forderungen ans Leben oft genug mit den Sätzen<< arbeite erst mal und schaff dir dann etwas an oder, Erfolg, ist noch nie, vom Himmel gefallen<< von vornherein im Keim erstickt wurden. Hat es uns geschadet? Nein! Ganz, im Gegenteil sogar. Wir haben nämlich gelernt, die Dinge, die wir besaßen zu schätzen und zu achten und nichts im Leben, als selbstverständlich anzusehen.

<<Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr<<, sagt schon der Volksmund. Bescheidenheit, ist eine menschliche Verhaltensweise, die sich darin äußert, wenig von etwas zu verlangen oder sich mit wenig zufrieden zugeben. Ein solches Verhalten ist demzufolge der Gegenpol des Egoismus -  und damit eigentlich eine verdammt gute Sache. Vorausgesetzt, man hat es erlernen können und genau da fängt nämlich das Übel an. Nicht unseren Kindern und Jugendlichen muss ein Vorwurf gemacht werden, sondern uns Eltern, die es versäumt haben, Bescheidenheit und weniger Wollen und Haben, in ihrer Erziehung einfließen zu lassen. Das Leben, der meisten jungen Menschen grenzt heute an einer unerschöpflichen Gier. Bei der Suche, nach einem guten Mittelweg zwischen Bescheidenheit und Eigeninteresse, haben wir Eltern, der letzten Generation völlig versagt.

Ob diese obsessive Entwicklung noch zu stoppen ist, bleibt fraglich. Was, frage ich mich,  sollen heutige Jugendlichen, ihren eigenen Kindern mit auf den Weg geben, wenn Prestige und Luxus ein fester Bestandteil ihres Lebens sind und das, ohne, dass sie selber sehr viel dafür tun mussten? Natürlich möchte jede Generation, dass es der nachfolgenden besser als der vorherigen geht. Daran ist nichts Übles oder Verwerfliches zu sehen. Und dennoch haben wir irgendwann den falschen Weg beschritten. Das gilt im Übrigen, für viele unserer Modernen Entwicklungen. Im Moment stehen wir einer jungen Generation von verwöhnten, selbstgefälligen Egoisten gegenüber. Gut, in den letzten Monaten haben uns einige unter ihnen überraschen können. Die weltweiten Proteste für ein besseres Klima kann ich nur gut heißen. Dennoch bleibt die Frage, was kommt danach? Kann es überhaupt noch ein höheres Maß geben und wenn, wo führt es die Menschheit hin?

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass die Menschheit nichts gewonnen hat, wenn alles so bleibt, wie es ist. Wir müssen zurückrudern und vergessenes wieder neu erlernen. Die Ereignisse, der letzten Monate hat deutlich gezeigt, dass die junge Generation dazu in der Lage ist und, vielleicht lernen sie aus all den Protesten weitaus mehr, als sich nur für ihr Recht auf ein besseres und gesünderes Klima einzusetzen. Nicht Höher, Schneller und Weiter, sondern Langsamer, Bewusster und Menschlicher, ist der Schlüssel für ein erfülltes und schöneres Leben. All das schließt Erfolg im Übrigen überhaupt nicht aus.

In diesem Sinne

Herzlichst eure Lilo.

 

 

 

 

 

 

 

   

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