Lilo David 

Ihre Reise kann beginnen 

Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.

Wer kennt ihn nicht diesen altbackenen und bekannten Spruch! Mir fallen, wenn ich ihn höre oder lese immer gleich hunderttausend Dinge und soundso viele mütterliche Ermahnungen ein. Meine preußische Erziehung kann ich, selbst, wenn ich es wollte, nie so ganz vergessen. Erst die Pflicht dann das Vergnügen, rauscht noch heute ab und an, wie eine unliebsame Melodie durch meine Gehörgänge. Und nun, seit ein paar Monaten, stelle ich erstaunt fest, dass mich all die Sprüche meiner Kindheit nicht mehr im Geringsten tangieren. Dabei war ich die Perfektion in Person. Ich war so durchorganisiert, dass nicht mal ein Blatt Papier zwischen dem einen und dem nächsten Programmpunkt gepasst hätte. Ein Aufschieben auf die lange Bank, gab es bei mir einfach nicht. Was erledigt werden musste, wurde erledigt, und zwar prompt. Der Spruch: „Müßiggang ist aller Laster Anfang“, gehörte sozusagen zu meinem alltäglichen Pflichtprogramm. Es verging kein Tag, an dem ich nicht durchs Haus wirbelte, alles aufräumte, den Boden saugte und selbstredend feudelte, die Türen kurz mal abseifte, wer mag schon gerne dreckige und schmierige Fingerabdrücke, und so lange wienerte, bis es aussah, als würde in meinem Haus niemand wohnen. Geburtstage vergessen? Fehlanzeige! Ich hätte mir eher die Hand abgehackt, als auch nur an einen einzigen Geburtstag, meiner Freunde oder Bekannten nicht rechtzeitig zu denken. Mein schlechtes Gewissen, wenn mir so etwas tatsächlich mal passiert ist, trug ich tagelang mit mir herum. Nicht in den Kühlschrank zu schauen, ob nicht doch irgendetwas fehlt, empfand ich als Frevel. Ein vergessenes Brot oder die Erdbeermarmelade zum morgendlichen Frühstück wäre ein persönlicher Weltuntergang gewesen. Ich hätte mich lieber gedreiteilt, als auch nur irgendetwas nicht rechtzeitig zu tun. Kurz um, auf mich war stets Verlass. Ich funktionierte bestens. Eine Schweizer Uhr war nichts gegen meine Ambitionen, es immer und überall und zu jeder Zeit allen recht zu machen. Menschen, die eine eher laxe Haltung ihrer Alltagspflichten gegenüber an den Tag legten, waren mir zwar nicht zuwider, aber ich empfand ihnen gegenüber dennoch stets ein leichtes Unbehagen. Also, kurz um, seit einiger Zeit bemerke ich an mir eine Art Nachlässigkeit, die für mich absolut neu ist. Und, weil sie so neu ist, freue ich mich beinah, wie ein verliebter Teenager, ob meiner neu gewonnen Lust, mir die Freiheit zunehmen, die Dinge schleifen zu lassen oder sie auf die lange Bank zu schieben.

Man sagt ja, dass der Mensch sich alle sieben Jahre verändert. OK. Das mag vielleicht sein. Allerdings, was mein Drang an Ordnungsliebe und es allem Recht zu machen angeht, scheint es weniger funktioniert zu haben. Hätte ich mich sonst Jahrzehnte lang um mich selbst gedreht? Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob ich auf mein neues Empfinden bauen kann oder, ob ich nicht doch eines Morgens aufwache und alles ist beim alten?

 Vielleicht, und das kann gut sein, habe ich aber auch endlich gelernt, meine Gespenster zu vertreiben und unbewusst erkannt, dass die Welt nicht untergeht, wenn ich einfach mal fünf gerade sein lasse und nicht alles sofort und augenblicklich erledige. Ein nicht aufgeräumter Esstisch bedeutet nicht zwangsweise, dass hier Menschen im Chaos versinken und ein nicht gesaugter Boden, ist noch lange kein Beweis dafür, dass man in Unordnung umkommt. Und beileibe, ist ein vergessener oder zu später Geburtstagswunsch kein Drama. Es ist menschlich und bei der Hetze, die wir manchmal in unseren Alltag legen allzu verständlich. Und, wer sagt, dass ein verspäteter Glückwunsch nicht ebenso herzlich sein kann? Es sagt nun wirklich nichts darüber aus, wie wichtig mir diejenige Person ist! Schlussendlich gibt es auch andere  Dinge zu tun, die vielleicht, in dem Moment für mich wichtig oder mittlerweile wichtiger geworden sind!

 Einfach mal einen kurzen Moment durch den Garten schleichen und sich an den frischen neuen Blumen erfreuen, einem Schmetterling dabei zusehen, wie er über meine Blumen seine Runden dreht, mit meinen Enkel herumtollen und spielen oder ihm gefühlte Stunden Anschwung beim Schaukeln zu geben oder sich ganz einfach mal hinsetzen und rein gar nichts tun. Das gibt mir neuerdings Befriedigung.  

Und wissen Sie was? Ich genieße meine neue Freiheit. Sie tut mir gut und ich hab nicht mal ein schlechtes Gewissen. Mir ist nicht mehr die Quantität meines Tuns wichtig, sondern die Qualität. Die Dinge, auf die ich sonst so einen enormen Wert gelegt habe, sind mir zwar nicht egal geworden, aber ich empfinde ihnen neuerdings eine gesunde Gelassenheit gegenüber. Ich will mich nicht mehr von den alltäglichen Dingen gängeln lassen und entscheide frei und selbstbewusst, was ich wann tun möchte. Pflicht war gestern. Heute tanze ich lieber Kür!

 Meine Mutter hat uns Kindern stets eingetrichtert: << eine Wohnung muss immer so aussehen, dass jederzeit Besuch kommen kann und sich wohlfühlt. << dem will ich auch gar nicht widersprechen. Jedenfalls nicht vom Grundprinzip her. Nur, seltsamerweise kommt selten unangemeldeter Besuch und selbst wenn, habe ich noch nie erlebt, das der sich dann hinstellt und meine Wohnung auf Herz und Nieren prüft und mir zu verstehen gibt, dass meine Gardinen mal wieder gewaschen werden müssten.

Wer mich besucht kommt meinetwegen und nicht, weil es immer so wunderbar aufgeräumt ist. Wenn jetzt im Kühlschrank die Marmelade fehlt oder das Glas Nutella nur noch eine kleine Messerspitze vorzuweisen hat – na und? Es gibt anderes, das ebenso lecker auf einem Brötchen schmeckt. Und, wem es von meinen Lieben nicht passt, ist frei genug, um  loszugehen und die fehlenden Dinge zu kaufen. Krümel, die auf meinem Boden liegen, liegen auch morgen noch da. Sie vollführen keinen abendlichen Tanz und vermehren sich auf seltsamerweise. Und ein dunkler Fingerabdruck auf meiner Tür, ist mittlerweile für mich auch kein Grund mehr, sofort den Lappen zu holen.

Das Leben ist einfach zu kurz, um sich ständig mit Aufräumen und Wegräumen und Pflichten zuzumüllen. Sicher, alles sollte natürlich im Rahmen bleiben und ab und an, an alte Gewohnheiten anzuknüpfen schadet sicherlich nicht. Der Samstag ist fest reserviert für Lappen und Co. Ansonsten halte ich es neuerdings lieber wie die gute alte Scarlett O`Hara und sage mir öfter einfach mal:

<< Morgen ist auch noch ein Tag<<

In diesem Sinne herzlichst eure Lilo.

     

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