Warum uns etwas mehr gesellschaftliche Verantwortung guttun würde und, warum uns die Kleinsten zeigen wie es geht.
„Dann wirst du aber die Verantwortung dafür übernehmen“. Ich höre noch diesen Satz in meinen Ohren, den meine Mutter mir auf dem Weg zur Tierhandlung predigte, als ginge es um Leben und Tod. Dabei hatte ich ihr lediglich die Erlaubnis abgerungen doch wenigstens ein kleines Haustier zu bekommen, wo doch all meine Freundinnen längst eine Katze oder einen Hund hatten. Meine Wahl fiel auf zwei hellbraune Hamster." Zwei sind besser als einer“ , schwadronierte die Zoofachverkäuferin und somit war es beschlossene Sache. Schon auf dem Heimweg taufte ich die zwei Max und Moritz und ein paar Wochen kannte meine Glückseligkeit keine Grenzen. Ich nahm meine Verantwortung sehr ernst! Zu mindestens bis zu dem Tag als wir feststellten, dass Max und Moritz eigentlich eher Max und Maximilliane hätten heißen müssen und die Schar kleiner neu geborener Hamsterbabys, die erst zwei oder drei Tage zuvor das Licht der Welt erblickt hatten, samt Mutter über Nacht vom eigenen Vater mit Kopf und kleinem Puschel Schwanz aufgefressen waren.
„Nein, sie würde ihn auf keinen Fall zurücknehmen, denn es sei zwar ein seltener aber ein durchaus natürlicher Vorgang gewesen“, erklärte uns die Zoofachverkäuferin, der wir postwendend und ziemlich schockiert unser Leid klagten. Genau das hatten wir vorgehabt – meine Mutter und ich. Denn weder Sie noch ich wollten diesen Babyfressenden - Kannibalen noch länger im Hause behalten und ich auf gar keinen Fall weiterhin für diesen „Mörder“ Verantwortung übernehmen. In einem Anfall kindlichem Zorn und Bockigkeit beschloss ich ihn einfach im großen Flur auszusetzen. Insgeheim hoffte ich, dass er einfach aus der Tür hinausspazieren würde, sobald einer meiner Geschwister oder ich uns auf den Weg zur Schule machten. Mir war es egal, was mit ihm geschieht. Ich wollte ihn nicht mehr und mich der Situation auf meiner Weise entledigen! Und dann kam alles anders. Der Staubsauger hatte ihn am Vormittag beim Aufräumen verschluckt. Tat es mir leid? Auf einer Seite schon und auf der anderen glaubte ich damals, mit meinen 10 Jahren, dass das seine gerechte Strafe gewesen war und mich an seinem Leid oder der Gefahr, in der er den ganzen Vormittag schwebte, keinerlei Schuld traf. Das Projekt "Verantwortung "hatte ich am Morgen dankend abgelehnt.
Selbstredend habe ich von damals bis heute gelernt mit Verantwortung umzugehen und sowohl für mich als auch für andere Verantwortung zu übernehmen. Wobei ich für meinen Teil schon in private und gesellschaftliche Verantwortung unterteile. Dass, nicht jeder Verantwortung leicht zu schultern oder zu händeln ist und dass sich Verantwortungsgefühl erst mit den Jahren richtig entwickelt wissen wir alle. Damals, als 10-Jährige bin ich an einem entscheidenden Punkt an meine Grenze gestoßen und es wäre die Sache eines Erwachsenen gewesen hier mit gutem Beispiel voranzugehen und zu zeigen, dass man auch dann Verantwortung übernehmen kann, wenn es einem nicht mehr passt oder gefällt. Habe ich dennoch durch diese Geschichte gelernt? Und ob!
Zu mindestens habe ich, wenn auch erst im Nachhinein begriffen, dass ich trotz meines Scheiterns, trotz Ablehnung und einer leidig hässlichen Geschichte Verantwortung im Leben übernehmen muss und das nicht nur für mich, sondern auch ebenso für die, die nicht meinen Ansprüchen entsprechen, die nicht meine Ansichten teilen und ganz sicher auch für diejenigen die meine Hilfe benötigen Schlussendlich können auch Misserfolge zum Erfolg führen. Verantwortung zu übernehmen sowohl privat als gesellschaftlich sehe ich, als Fähigkeit an soziale Intelligenz zu besitzen. Denn je weniger soziale gesellschaftliche Verantwortung ein jeder übernimmt, desto weniger kann, meiner Ansicht nach, ein Zusammenleben und erst recht eine ganze Gesellschaft funktionieren. Und genau damit scheinen wir im Moment ein großes Problem zu haben.
Natürlich spiegelt jede Ansicht das subjektive Empfinden des Einzelnen wider und trotzdem glaube ich, werfe ich mich nicht allzu sehr aus dem Fenster, wenn ich hier und heute behaupte, dass diejenigen, die am vergangenen Wochenende in Leipzig oder in den vergangenen Monaten wegen Covid-19 auf die Straße gegangen sind wenig, wenn nicht sogar gar keine soziale Verantwortung übernehmen. Für mein Verantwortungsgefühl waren diese Demonstrationen überflüssig, unsolidarisch und gefährlich zugleich und zeigen einmal mehr deutlich das sich unsere Gesellschaft schon längst von einem gemeinsamen WIR in ein ICH verwandelt hat.
Eine demokratische Gesellschaft muss das aushalten, las ich jedes Mal. Das Recht auf Versammlung ist unantastbar und ein Grundrecht. Das sehe ich ebenso und gleichzeitig würde ich mir dennoch wünschen, dass das Recht auf Unversehrtheit und Gesundheit vorrangig dem Recht auf Versammlung und Demonstration gestellt werden könnte. Was ich mir wünschen würde wäre das an einem Strang ziehen, sich solidarisch zeigen und gemeinsam dafür Sorge zu tragen, dass wir die Pandemie so bald wie möglich hinter uns lassen damit, um es mit dem Hamster von vor 49 Jahren zu vergleichen, eben keiner unter die Räder kommt oder vom Sog mitgezogen wird. Dass dem nicht so ist, macht mich nicht nur ein Stück weit traurig und betroffen, sondern auch zornig und fassungslos. Mit Wut schaue mittlerweile ich auf all diejenigen, die weder Gefahren erkennen noch in gewisser Weise ein Teil der großen Verantwortung übernehmen wollen.
Diese kollektive Verantwortungsverweigerung steht im Gegensatz eine Studie von Erziehungswissenschaftlern und Kinderpsychologen, die in den letzten Monaten anhand von vielen Untersuchungen festgestellt haben, dass wir gerade in Bezug auf Verantwortung und Gelassenheit etwas von den Kleinsten unserer Gesellschaft lernen könnten und das, obwohl gerade die Kleinsten eigentlich die großen Verlierer waren. Monatelang durften sie u. a. ihre Großeltern nicht sehen, ihre Geburtstage mit Freunden nicht feiern, nicht die Schule oder Kita besuchen und der Besuch auf den Spielplätzen war untersagt. Und dennoch gehen die Kleinsten unserer Gesellschaft mit gutem Beispiel voran.
Kindergartenkinder waschen sich vor dem Betreten ihrer Kita wie selbstverständlich ihre Hände. Grundschüler toben mit Mund-Nasen-Schutz in ihrer großen Pause auf dem Schulhof und selbst das ständige Lüften der Klassenräume nehmen die Kleinsten klaglos hin. Gerade die Kleinsten wachsen in der Corona-Krise über sich hinaus und keiner von ihnen beklagt sich so lauthals wie wir Erwachsenen oder demonstriert auf den Straßen. Kinder zeigen Verantwortung, arbeiten im Kollektiv gegen die Pandemie und tragen ihren Teil der Verantwortung, in einer Zeit, wo Verantwortung ein immens wichtiger gesellschaftlicher Bestandteil ist und unser aller Leben – Überleben sichert.
Was hilft das ganze Beklagen und zetern über das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, was bringt es die Existenz des Virus abzustreiten und darüber zu jammern, dass wir nicht auf wilde Party gehen können, nicht unseren Glühwein auf überfüllten Weihnachtsmärkten trinken können, nicht den neuesten Blockbuster im Kino ansehen können und unsere Freunde seltener oder eine Zeitlang gar nicht sehen zu können? Nichts rein gar nicht! Es geht schlussendlich nicht um dich oder mich, um unser aller Ego, sondern um ein solidarisches Miteinander.
Gelassenheit und die Dinge so hinzunehmen, wie sie gerade sind, lernen wir dieser Tage von den Kleinsten unsere Gesellschaft. Nichts ist von Dauer und auch die Pandemie wird wieder verschwinden. Klar bis dahin heißt es Pobacken zusammenreißen und sich ein wenig zurücknehmen. Weg vom Egoismus hin zu einem Miteinander und gemeinsam dafür zu sorgen, dass wir die Wirtschaft durch unser aller Verhalten vor einem endgültigen Chaos bewahren.
Mit Zuversicht und gesellschaftlicher Verantwortung werden wir alle diese schwere Zeit gut überstehen.
Nehmen wir uns also ein Beispiel an den Kleinsten unserer Gesellschaft.
In diesem Sinne
Herzlichst eure / ihre Lilo David.