Lilo David 

Ihre Reise kann beginnen 

  Es lebe der kleine Unterschied oder das Geheimnis, des sich immer ähnlicher Werdens und, warum es eigentlich gar keines ist.   

Ich war 18 Jahre alt, als ich diesem Phänomen zum ersten Mal begegnete. Meine Eltern kamen am späten Nachmittag von ihrem Einkaufsbummel zurück. Strahlend, wie zwei Honigkuchenpferde präsentierten sie mir ihr zwei neuen Windjacken. Schick sahen sie aus, wenngleich beide auch weder im Aussehen, Schnitt noch in der Farbe zu unterscheiden waren. Stolz standen sie vor mir und ich musste die ganze Zeit an das Doppelte Lottchen denken.

 Bis dato hatte ich sie für zwei voneinander völlig abgekoppelten Personen gehalten. Ab und an hatte ich mich zwar über ihre zunehmend gleichen Meinungen gewundert aber das soll bei Eltern ja öfter vorkommen, als dem Nachwuchs lieb ist. Aber ansonsten keine besonderen Merkmale, die vermuten ließen, dass der eine gerne die äußerliche Kopie des anderen sein wollte. Dass jemand vor lauter Liebe zu seinem Idol, gerne so aussehen möchte wie er oder sie, war mir wohlbekannt. Alles selbst erlebt!  Mit 15 Jahren schwärmte ich für den Leadsänger der Bay City Rollers. Damals ließ ich mir nicht nur freiwillig Karottenstoff  an die Seiten meiner Jeans annähen, sondern ging sogar so weit, dass ich mir meine Haare abschneiden ließ nur, um ihm auch dort zu ähneln. Herrje, das waren Teenagerschwärmereien. Mit 18 war das selbstredend Schnee von gestern und eigentlich war es mir auch viel zu peinlich geworden, als das ich überhaupt noch mit irgendjemanden darüber reden wollte.  

Und nun das! Meine Eltern, die Tisch und Bett miteinander teilten, sahen plötzlich aus wie die Kopie des anderen und ehrlich gesagt, war ich damals ziemlich schockiert.

Mit den Jahren wurden aus gleichen Jacken, gleiche Hosen, gleiche Ansichten, gleiche Vorlieben und manchmal hatte ich das Gefühl, das sich selbst ihre Gesichter, Falten und Handlungen glichen, wie ein Ei dem anderen.  Ich schwor mir Stein und Bein, dass egal, wie alt ich selber bin und wie lange ich auch mit meinem Mann zusammenlebe, mir – uns so etwas nie passieren wird.

Ich hätte mir den Schwur sparen können!

Es ist passiert und das beinah über Nacht!

Das Phänomen des späten Zwillings oder des Doppelten Lottchen nur mit einem anderen Geschlecht hat sich auch in unserem Haus fett und bequem ausgebreitet! 

Bin ich schockiert? Ja etwas!

Bin ich überrascht? Ja auch das!

Will ich das? Nein auf keinen Fall und dennoch geschieht es häufiger als mir lieb ist.

Vor ein paar Wochen ist es mir in aller Offenheit begegnet und steckte mir keck seine lachende Fratze entgegen. Ob es sich darum dreht den nachmittäglichen Kaffee zu kochen nur, um festzustellen, dass mein Mann die Maschine schon längst angestellt hat oder, um das gleiche Aussehen, wie neulich als wir ins Konzert wollten! Es ist da und begegnet mir  fast schon  Schritt auf Schritt. Noch schlimmer jedoch ist es, dass man Mann einen Satz beginnen kann und ich ihn ohne Weiteres beenden könnte, weil wir nicht nur die gleichen Gedanken hegen, sondern sich unsere Ansichten kaum noch voneinander unterscheiden lassen

Das ist doch zum Haare raufen, oder etwa nicht?

Und ich frage mich, was um alles in der Welt ist in den vergangen 40 Jahren passiert und wieso ist es uns oder wenigstens mir nie so richtig aufgefallen?   

Sucht man in einschlägigen wissenschaftlichen Berichten, liest man, dass sich Ehepartner im Laufe ihrer Zeit im erstaunlichen Maße aneinander anpassen. Oft steht es ihnen sogar buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Ich frage mich gerade, da wir ja schon des Öfteren das gleiche Outfit tragen, wie lange jeder von uns noch sein eigenes Gesicht behält? Bislang sehe ich im Spiegel nur das meinige! Dem Himmel sei Dank!  

Wenn sich zwei Menschen dazu entschließen, ihr Leben gemeinsam zu verbringen, ja dann startet laut Wissenschaft eine Phase der Annäherung und die betrifft sowohl das Äußerliche, als auch das Innerliche. Im Denken, Fühlen und Handeln ja sogar in Bezug auf die Gesundheit färbt Zweisamkeit ab.

Je länger sich also zwei Menschen zusammentun, desto ähnlicher werden sie einander. Dass wir diesen Prozess der Angleichung nicht bewusst miterleben ist eines der Phänomene, die die Wissenschaft an unzähligen Paaren versucht zu erklären. Bei der Silberhochzeit ähneln sich viel Partner so sehr, dass sie selbst für Unbekannte augenscheinlich zusammengehören.

Natürlich kann man alles wissenschaftlich erklären aber das heißt noch lange nicht wirklich zu verstehen, was da eigentlich mit jedem von uns passiert! Irgendwie liest sich das doch wie ein Bericht aus Dr. Mabuses Gruselkabinett. Möchten sie so sein wie ihr Mann und ihr Mann so sein wie Sie? Ich kann mir vieles vorstellen aber dass nun wirklich nicht! Nach wie vor will ich, ich sein und weder meiner besseren Hälfte im Aussehen noch im Denken auch nur ansatzweise ähneln.  

Robert Zajonc von der Universität Michigan hat bereits vor fast drei Jahrzehnten sich diesem Phänomen verschrien. Meine Theorie bezüglich seiner Ambitionen lautet ja, dass er ebenso überrascht darüber gewesen war, sich urplötzlich seinem Zwilling im heimischen Wohnzimmer gegenüberzusitzen, dass er einfach herausfinden musste, woran das liegt und ob sich daran noch etwas ändern wird? Ich habe also mit großem Interesse seine Ausführungen gelesen und bin, das muss ich unumwunden zugeben, etwas desillusioniert. 

Fest steht: Der Mensch liebt das, was er kennt, und hofft, es auch im anderen zu finden. Also nichts von << Gegensätze ziehen sich an<<! Ein vertrautes Gesicht vermittelt immer und überall den Eindruck von Sicherheit und Nähe.

 Wussten Sie z. B., dass der Partner häufig dem Vater ähnelt (vor allem in zentralen Gesichtsbereich), während die Partnerin oft an seine Mutter erinnert? Zum Glück nur in der unteren Gesichtspartie. Das ist in meinem Fall zwar nur ein kleiner Trost aber immerhin etwas!  Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich Tamas Bereczkei von der Universität Pécs für diese Erkenntnis dankbar sein oder ihn zum Mars wünschen sollte, denn anhand von unzähligen Gesichtern von Schwiegereltern und Schwiegerkindern hat Tamas genau diese These bestätigt.

Und als ob das fundierte wissenschaftliche Ergebnis mich nicht schon genug umhauen oder verwirren könnte gibt es weiteres Erschreckendes, wovon so manches allerdings auch in gewisser Weise einen kolossalen Unterhaltungswert hat, den ich auf keinen Fall hier und heute auch nur irgendjemanden vorenthalten möchte.

Wenn schon dann sollten wir alles über das Phänomen „Zwilling im Alter oder die Mutation zum doppelten Lottchen“ erfahren. Und wer weiß, vielleicht können sie ebenso darüber schmunzeln oder nachdenklich werden wie ich!  

2011 ergab eine Umfrage des Heidelberger Soziologen Thomas Klein, dass Männer und Frauen dazu tendieren, an Gewicht zuzulegen, sobald sie vergeben sind. Die Geselligkeit beim Essen und die Gewissheit, niemanden mehr mit Traumbody-Maßen ködern zu müssen, sind für die Gewichtszunahme ausschlaggebend.

2012 wurde an der Uni Cincinnati herausgefunden, dass sich im Laufe einer langen Partnerschaft auch die Trinkgewohnheiten angleichen. Frauen lassen sich demnach von ihrem Partner vermehrt zu einem Gläschen Alkohol verführen – was für eine geniale Entschuldigung für das nächste eine oder andere Glas zu viel – wohingegen die Männer dem guten Vorbild oder dem Druck seiner Gattinnen folgend weniger trinken, sobald sie liiert sind.

Und noch etwas ist interessant. Kürzlich fanden englische Forscher heraus, nachdem sie fünf Jahre lang Raucher befragt hatten, die von ihrem Laster loskommen wollten, dass es den Frauen leichter gelang, wenn ihre Männer ebenfalls auf den Glimmstängel verzichten. Rauchten jedoch die Männer weiter so verringerten sich auch die Erfolgsaussichten auf 8%. Waren jedoch die Männer Nichtraucher schafften immerhin 17% der Frauen den Absprung in ein rauchfreies Leben.

Und wieso gelingt es mir dann nicht? Mein Mann hat noch nie in seinem Leben auch nur eine einzige Zigarette geraucht? Ja, ja ich weiß – der Geist ist schwach!

Erschreckend jedoch fand ich die 2005 durchgeführte englische Studie an 29.000 Menschen- 17.000 davon verheiratet. Hat ein Ehepartner ein Magengeschwür oder leidet an Asthma oder Depressionen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass auch der Ehepartner daran erkrankt, im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung um ganze 70 %. Zum gleichen Ergebnis kamen sie bei Herz- und Kreislauferkrankungen und erhöhtem Cholesterinwerten. Zurückzuführen ist dies natürlich auf die Umweltfaktoren und die gleiche Lebensweise der Partner.

Natürlich wächst ein Paar erst mit der Zeit zusammen und dennoch irgendwann passiert genau das, was mir passiert ist und ehrlich gesagt musste ich darüberschreiben. Natürlich immer mit dem Wissen.

DU BIST NICHT ALLEIN!

Camaron Andersen seines Zeichens Psychologe geht sogar so weit von „derselben emotionalen Person“ zu sprechen. Denn tausende von Frauen und Männer tun nach einer langen Beziehung mit ein und derselben Person erstaunliche Dinge, die uns so nie bewusst sind und dennoch unsere Partnerschaft unwiderruflich prägen oder wir durch sie geprägt worden sind. Sie lacht ebenso laut vor dem Fernseher, wie er es immer tut. Er empfindet die Themen, die ihr wichtig sind, als zunehmen relevant. Und irgendwann stellt der eine sogar die Sätze des anderen fertig. Bei manchem Partner sind Mimik, Gestik und Stimme irgendwann derart ähnlich, dass man mit Fug und Recht vom Doppelten Lottchen sprechen kann.

Und wer von Ihnen denkt, dass wir wenigstens an der Wahlurne unserem eigenen Gefühl folgen, den muss ich leider auch eines Besseren belehren.

Einer Umfrage zu Folge, die die Partnervermittlung Parship 2013 durchgeführt hatte, haben immerhin 7 % der Männer und ganze 9% der Frauen angegeben, die eigene politische Einstellung wegen ihres Partners geändert zu haben.

Wirklich amüsant fand ich jedoch, dass nicht derjenige in einer Beziehung die Hosen anhat, der am Tag der Hochzeit beim Anschneiden der Hochzeitstorte seine Hand oben hatte, sondern einzig der oder diejenige, der den Takt beim Schlafrhythmus angibt. Und noch etwas ist interessant. Die Bereitschaft Partner zu tolerieren, die nachts ganze Wälder absägen sinkt mit dem 10. Jahr einer Beziehung rapide ab und führt bei vielen unweigerlich zu getrenntem Schlafzimmer.

Und, wo wir schon im Schlafzimmer sind gibt es selbstredend auch neue Erkenntnisse über das Sexualverhalten geschlechtsreifer und älterer Paare. Nach 40 gemeinsamen Jahren ist der Ofen zwar noch nicht aus aber die Glut glimmt meistenteils nur noch wenig. Was bedeutet, dass ältere Paare weit weniger Sex als Jüngere haben dafür aber und auch das wurde bewiesen Qualitativ wesentlich besseren. Vielleicht liegt es an der jahrelangen Übung, an das mehr hineinfühlen des Partners oder einfach nur daran, dass das, was selten geschieht, dann auch möglichst gut sein sollte.  

 Übrigens nur für alle Fälle und für wilde Spekulationen:  Wilde Ehen sind von diesen Phänomenen nicht ausgeschlossen! 

Und noch etwas, was wir uns alle getrost sparen können. Der Satz:<< Schatz, ich glaube, du müffelst<< kann ein für alle Mal eingemottet werden. Ess –, Trink und Rauchgewohnheiten von Paaren hinterlassen Spuren. Uns umgibt sozusagen der gleiche Stallgeruch! Über uns und unserem Angetrauten hängt derselbe Duft.

Bitte nicht verwechseln mit dem lieblichen und verliebt machenden Geruch früherer Jahre. Dieser biologische Geruch diente einzig und alleine dazu einen Partner zu umgarnen, wie die Motten das Licht. Und auch da verfallen wir einem uralten Irrtum. Das Umgarnen ist keineswegs von uns ausgegangen oder auch nur ansatzweise gesteuert worden. Mal wieder ist es unser Unterbewusstsein, der Begegnungen steuert und in Millisekunden aus zwei Fremden womöglich zwei Verliebte macht. Passt der fremde Geruch zum eigenen biologischen „Parfüm“ und verspricht unserem Unterbewusstsein eine fortlaufende gute und wohl liebevolle Verbindung gehen wir unweigerlich auf Tuchfühlung. Und noch etwas geschieht von ganz alleine. Während wir auf Tuchfühlung gehen hat unser Unterbewusstsein schon längst alle Ähnlichkeiten herausgefiltert, zusammengefügt und im Hirn ein Check-up durchgeführt.

Von wegen Amors Pfeil hat uns getroffen! Es war mal wieder unser Unterbewusstsein.

Denn die vermeintliche Seelenverwandtschaft, von der Frischverliebte so gerne schwärmen, ist leider nur Wunschdenken und gehört in die Kiste „Romantik und Liebesschnulzen“. Paul Eastwick, Psychologe aus Texas ist davon überzeugt, man verliebt sich nicht, weil man sich ähnelt. Vielmehr achtet man, wenn man sich verliebt hat, besonders auf Ähnlichkeiten, und streicht sie heraus.

Also frei nach dem Satz von Friedrich Schiller:

Prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich nicht etwas Ähnlicheres findet!

Man könnte jedoch auch Willy Brands Zitat bemühen und behaupten, es wächst zusammen, was zusammengehört. Anders, als in der Politik und der deutschen Wiedervereinigung scheint es ja zwischen zwei Menschen ganz wunderbar zu funktionieren. Dass, sich im Laufe einer langjährigen Beziehung Paare immer mehr angleichen, sich ähnlicher werden, das Gleiche tragen, dasselbe mögen und ablehnen ist ein absolut normaler und von langer Hand vorbereiteter Schritt unserer Evolutionsgeschichte.

Wie in Tagebuch der Emotionen prägen sich die Gefühle des Alltags in die Gesichter der Menschen ein. Das gemeinsame Lachen, Weinen, Bangen und Hoffen, aber auch die unbewusste Nachahmung von Gesichtsausdrücken und er Kopfhaltung des anderen zeichnen mit der Zeit ein ähnliches Muster aus Falten und Furchen!

Das doppelte Lottchen, im zunehmenden Altem ist evolutionäres Programm, und zwar vom ersten Tag unseres Kennenlernens an. Schritt für Schritt, Jahr für Jahr, Woche für Woche, Tag für Tag werden wir uns ähnlicher.

Da nutzt auch kein Schwören und auf keinen Fall kann sich auch nur irgendjemand diesbezüglich vorwerfen, er hätte nichts dagegen getan und alles schleifen lassen.

Aus der Nummer kommen wir alten Pärchen einfach nicht mehr raus!

Genießen wir also die Zeit des“ Doppelten Lottchens“ und machen einfach jeden Tag das Beste daraus.

In diesem Sinne

Herzlichst eure / ihre Lilo David.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  

    

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