Was ich noch zu sagen hätte oder, wir teilen alle das gleiche Schicksal.
Eine Geschichte angeregt durch das Buch Kriegsenkel von Sabine Bode.
Vorwort
Ich liebe Bücher. Ich finde, sie haben so etwas Intimes an sich. Je nachdem, was man gerade liest, ist man mal Spion, Krimineller, Wanderer oder nimmt als Entdecker an historischen Ereignissen teil. Und manchmal kann es sogar passieren, dass der Inhalt eines Buches einen mit in die eigene Vergangenheit nimmt. Ich halte so ein Buch in meinen Händen und lese Geschichten über eine Generation, die viele Jahre vergessen wurde und von der man heute weiß, dass sie weit mehr unter den psychischen Folgen des Zweiten Weltkrieges gelitten hat und noch leidet, weil deren Eltern ihre eigenen Traumata nie überwunden haben. Mit jeder Seite, aus dem Buch „ Kriegsenkel „ von Sabine Bode, setzt sich Bild für Bild, in meinem Kopf zusammen, bis sich vor meinem geistigen Augen ein ganzer Film auftut und ich so manche Situation neu durchlebe. Habe ich Angst? Nein, denn trotz aller Ambivalenz und manch unschöner Erinnerung lese ich intensiver, als ich jemals zuvor ein Buch gelesen habe und plötzlich sehe ich alles klar und deutlich, was mir zuvor nur wie durch leichten Nebel und trotz zweier langwieriger Therapien nie so ganz und vollkommen bewusst geworden war. Nach so vielen Jahren erhalte ich Antworten auf meine Fragen, warum ich so bin, wie ich bin, warum ich vor manchen Situationen Angst empfinde und warum mir so oft das nötige Selbstbewusstsein fehlte und weshalb mein Verhältnis, zu meinen Eltern manchmal so verdammt schwierig war und sie mir ein Leben lang fremd blieben. Ich bin nicht alleine damit und dieses Wissen tut so verdammt gut! 2/3 aller Erwachsenen meiner Generation leiden unter psychischen Problemen und über die Hälfte haben Therapien hinter sich gebracht und dennoch scheinen wir nie so ganz geheilt werden zu können. Vielleicht ist ein Buch nicht die Lösung, aber es kann helfen manches von dem, was noch immer belastend auf unsere Seele liegt besser zu verstehen. Und somit tauche ich ein, in Geschichten von Menschen, die ich gar nicht kenne und, die mir dennoch so vertraut erscheinen. Lese von Müttern, die jeden Pfennig zweimal umdrehten, bevor sie auch nur eine einzige Mark ausgaben, von Vätern, die unfähig waren zu ihren eigenen Kindern eine innige und tiefe Bindung aufzubauen, von Kindern die, als sie erwachsen waren und auszogen trotz des Wissens, dass das, was sie taten, völlig normal war dennoch so etwas wie Verrat spürten und, ich lese von Eltern, die ihre Kinder mit Ermahnungen wie<< sei froh, dass es dir so gut geht. Wir hatten nichts im Krieg<< über Jahrzehnte ein so schlechtes Gewissen einflößten, das es auch Jahre später unmöglich erscheint sich davon zu befreien. Natürlich sind die Geschichten nicht meine Geschichte. Aber Parallelen sind vorhanden und in beinah jeder beschriebenen Lebensbeichte finde ich mich wieder, finde meine Eltern wieder und demzufolge auch meine Familiengeschichte, die so kompliziert und schwierig gewesen war.
Kriegsenkel, das ist die Generation, die zwischen 1960 und 1975 geboren wurde, von Eltern, die entweder im Krieg noch Kinder oder zu mindestens halbwegs erwachsen waren. Und ich gehöre dazu, im Spätsommer 1961 geboren, von Eltern, beide Jahrgang 1927, die noch nach guter alter preußischer Sitte erzogen wurden, die Doktrin, des Nationalsozialismus von Anbeginn eingetrichtert bekommen haben und so viel Leid gesehen und erlebt haben, dass es für ein ganzes Leben reichte. Beide Elternteile weisen in ihrer eigenen Lebensgeschichte signifikante Parallelen auf. Vater, wie Mutter wuchsen ohne väterlicher Fürsorge auf, mit Müttern, die sich entweder gar nicht oder nur bedingt für das eigene Kind interessiert haben und mit Großeltern bzw. einer Großmutter, die maßgeblich für die Erziehung verantwortlich gewesen sind.
Vor kurzem habe ich gelesen, dass die Kriegsgeneration, nach 1945 eigentlich eine Therapie benötigt hätte, um ihre Traumata zu überwinden. Natürlich hätten das passieren müssen und gleichzeitig jedoch glaube ich, dass wir, die Kinder dieser Eltern genau diese Rolle, in vielen Jahrzehnten unbewusst übernommen haben. Meine Geschwister und ich waren immer ein Teil ihrer Geschichte. Während mein Vater sich mit beharrlichem Schweigen, seiner Vergangenheit auszeichnete, war meine Mutter eine eher redselige Person. Ob es sich um traumatische Kriegserinnerungen handelte oder Geschichten und Begebenheiten aus der Zeit , bevor der Krieg begann. Über die Jahre wurden wir zum Mitwisser und Verstehender einer Zeit, die für uns kaum begreifbar war. Natürlich war Ihr erlebtes kein täglicher Gegenstand unseres Familienlebens. Und dennoch war es latent vorhanden! Jede Entscheidung, jede Handlung und selbst die Art und Weise ihrer Erziehung und, wie sie uns liebten und auch straften, trug die Handschrift ihrer eigenen Vergangenheit. Die Chance wirklich unbeschwert und ohne Altlasten heranzuwachsen, die hatten wir, Kriegsenkel, nicht. Auch, wenn es nach außen so ausgesehen haben mag und unser Alltag sich nicht allzu sehr von denen der heutigen Familien unterschied. Dennoch, die Geschichte unserer Eltern lastete trotz mancher Leichtigkeit, auf unserer kindlichen Seele und hat uns letztendlich zu dem gemacht, was wir heute sind. Das Bewusstsein, rückt tiefer in mein Herz und kratzt an meiner Seele. Und, ob es mir passt oder nicht, muss ich ihnen heute so viele Jahre später für so manches, was sie getan oder nicht getan haben, gesagt oder nicht gesagt haben, Absolution erteilen. Schuld daran, wie sie waren, die hatten sie nicht. Wenn überhaupt irgendjemanden die Verantwortung dafür aufgebürdet werden kann, dann der Zeit, in der sie zu mündigen Bürgern heranwuchsen.
Die Erzählungen unserer Eltern, trage ich wie beinah jeder, der, wie ich als Kriegsenkel, in Friedenszeiten geboren ist, in mir. Ebenso, die vielen Fragen, die unbeantwortet geblieben sind, weil man entweder nicht darüber sprach oder deren Beantwortung zu schweren emotionalen Empfindungen geführt hätte. Wie wir denken, wie wir handeln und warum uns auch heute noch so manches verdammt schwer fällt, liegt zum einen in der Geschichte unserer Eltern und zum anderen an der fehlenden tiefen emotionalen Bindung und nicht zuletzt natürlich auch an unserer Erziehung. Alles zusammengenommen hat sicherlich nicht dazu beigetragen, dass wir eine stärkere Bindung zu unseren Müttern und Vätern aufbauen konnten, sondern führte bei vielen meiner Generation eher zu einem verunsicherten Lebensgefühl, zu unauflösbaren Ängsten und Blockaden. Darüber zu schreiben, war nie meine Intention. Auf die Idee bin ich eigentlich erst gekommen, als ich dieses Buch anfing zu lesen und ich mit jeder weiteren Seite, mich meinen Eltern und meiner Vergangenheit näherte. Vielleicht findet sich der eine oder andere in meinen Zeilen, meiner Beichte wieder oder entdeckt Ähnlichkeiten zu seiner eigenen Vergangenheit.
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Konfrontation mit der Familienchronik .
Die Frage, was das für Eltern waren, die mit einer Ideologie aufwuchsen, der jedwede Humanität fehlte, die im Glauben gelassen wurden, dass ihre Herkunft , ihr Deutsch sein wertvoller und lebenswerter ist, als, die der anderen, denen Tote und Verwundete auf den Straßen, den Plätzen, in Hauseingängen und Wegen begegnet sind, die stundenlang in Luftschutzbunkern ausharren mussten, um zu überleben und denen Pflicht und Gehorsamkeit zu einem notwendigen Übel wurde und manchmal sogar das Denunzieren von Familienmitgliedern oder Freunden, ist durchaus erlaubt. Ich glaube, dass sie gar nicht fähig waren zu einer stabilen Emotionalität, Ihnen das Vertrauen ans Leben fehlte und dass sie uns, ihren Kindern, nicht vermitteln konnten, dass die Erde ein sicherer Ort ist.
Natürlich darf man hier nicht pauschal verurteilen. Es gab auch andere Eltern, die trotz Krieg in einem liebevollen und den Umständen entsprechend fürsorglichen Elternhaus heranwachsen durften. Diese Kinder hatten gute Chancen sich zu ebenso liebe und verantwortungsvollen Erwachsenen zu entwickeln. Die Mehrheit, der Kriegskindergeneration, jedoch hatten dieses Glück nicht. Dafür musste man nicht zu denen gehören, die aus ihrer Heimat flüchten mussten. Es reichte schon, wenn das eigene Zuhause es an der notwendigen Obhut und Liebe fehlen ließ. Auch hier muss man vorsichtig mit irgendwelchen Schuldzuweisungen sein. In schweren Zeiten und die stellten die Kriegsjahre auf alle Fälle da, waren die meisten Eltern eher damit beschäftigt das Leben für sich und ihre Kinder zu sichern, als das eigene Zuhause zu einem sicheren und liebevollen Ort zu machen.
Meine Eltern gehörten nicht zu denen, die einen leidvollen und beschwerlichen Weg einer Flucht auf sich nehmen mussten. Mutter wuchs in Kiel auf und mein Vater in einem beschaulichen kleinen Hundert Seelen Dorf in Schleswig Holstein. Dennoch, war ihr Heim kein Ort der Sicherheit und ihre Familienverhältnisse waren alles andere als normal. Über die meines Vaters weiß ich so gut wie gar nichts. Auch über seine Mutter habe ich nie mehr als Bruchstücke in Erfahrung bringen können. Aber über die Familienchronik meiner Mutter verfüge ich über so ausreichendes Wissen, dass ich ein ganzes Buch darüber schreiben könnte. Ich glaube, die Geschichte ihrer Vorfahren, Eltern und nicht zuletzt auch ihre eigene, haben sie ebenso beeindruckt wie mich und uns beide nachhaltig geprägt. Ich mochte ihre Geschichten, hörte ihr gerne zu, wenn Sie über Urgroßvater und Großmutter erzählte und mich zu ihrer Vertrauten machte. Manches übte schon eine gewisse Faszination auf mich aus. Dass Sie mich benutzte und zu Ihrer kindlichen Therapeutin machte, war mir nie bewusst. Nein, Ich nehme es Ihr nicht übel, wenngleich Ihre Geschichte, Ihre Vergangenheit und selbst Ihre Ängste sich im Laufe der Jahre auch auf mich abfärbten und mich, als ich älter wurde, meiner deutschen Abstammung schämen lassen hat.
Ich sehe mich noch vor mir, wie ich Ihr mit großen Augen und manchmal offenem Mund gegenüber saß und zuhörte. Dass, die Geschichten sich wiederholten und ich einige davon hundertmal gehört habe, störte mich nicht. Über das, was meinem Urgroßvater widerfahren ist, musste ich immer lächeln. Egal, wie oft Sie mir diese Geschichte erzählte. Als Sünder vom ortsansässigen Pastor aus der Kompanie gezerrt musste er noch an Ort und Stelle Ihre Großmutter, die er geschwängert hatte heiraten. In meiner Vorstellung, sah ich immer einen schneidigen, großgewachsenen und gut-aussehenden 26- jährigen Offizier der kaiserlichen Armee vor mir, der, wie ein gescholtener Junge da stand und unter Zwang einer sechzehnjährigen Küchenmagd sein Eheversprechen geben musste. Die Folgen seiner ungezügelten Lust, wogen schwer. Es folgten seine unehrenhafte Entlassung aus der Armee und der Bruch zu seiner Familie. Die Tatsache, dass mein Urgroßvater aus einer wohlhabenden Berliner Kaufmannsfamilie stammte und dazu noch jüdisch, war für mich bis ins Teenager-alter nie relevant. Was mich damals viel mehr beschäftigte und erbost hatte war, dass Eltern ihr Kind verstießen nur deshalb, weil es jemanden heiraten musste, der gesellschaftlich nicht passend war. Ob sein Konvertieren zum evangelischen Glauben, kurz nach der Zwangsehe, aus Trotz oder eher aus einer tiefen Kränkung heraus geschah, wusste meine Mutter nicht. Aber letztendlich, war es ein Glück oder schicksalhafte Fügung, wie immer man es sehen möchte. Ob die Ehe glücklich war? Keine Ahnung! Fruchtbar war sie auf alle Fälle. 16 Kinder hatte diese Ehe hervorgebracht und als letztes Kind und einzige Tochter wurde meine Großmutter 1902 geboren. Als die Nazis an die Macht kamen, lebte mein Urgroßvater nicht mehr und seine jüdische Abstammung interessierte niemanden. Eigentlich wurde das Thema seiner Herkunft für mich erst interessant und etwas, worüber ich mir wirklich lange Gedanken gemacht habe, als ich mich im Unterricht mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen musste und mir klar wurde, dass, wenn mein Urgroßvater nicht konvertiert wäre, dass Schicksal meiner Familie anders ausgesehen hätte.
Ob alle Geschichten und die Lebenswege immer der Wahrheit entsprachen, habe ich nie überprüft. Vielleicht hätte ich das tun müssen. Auf der anderen Seite aber sah ich nie irgendeine Veranlassung dafür und abgesehen davon, wer gab mir das Recht irgendetwas infrage zu stellen? Jedes Kind glaubt seinen Eltern, das ist einfach so und ich habe es auch immer getan. Vor ein paar Monaten dann erhielt ich sozusagen ein paar Beweise dessen, was ich nur aus Erzählungen kannte. Meine Schwester hatte beim Aufräumen einen Stapel Urkunden gefunden und sie mir zum nächsten Besuch mitgebracht. Es waren Geburt- und Heiratsurkunden meiner Ur- und Großeltern und sogar die Scheidungsurkunden meiner Eltern, Ihrer beider ersten Ehen, war dabei. Mann, was hab mich gefreut und das, obwohl die Papiere alt und vergilbt waren und ich kaum die altdeutsche Schrift entziffern konnte. Es ist schon komisch, wenn man nach so vielen Jahren endlich etwas in den Händen hält, was beweist, dass die Erzählungen, die einem selber zum Teil märchenhaft und dann wieder surreal erschienen der Wahrheit entsprechen.
Es stimmte alles. Die Herkunft meiner Ur- und Großeltern und auch, dass wir blaues Blut, in der Familie haben und der Vater meiner Mutter erst sehr viel später als Enkel eines Barons anerkannt wurde. Wie und wo sich dann letztendlich meine Großeltern kennengelernt haben, weiß der Himmel. Ist ja auch egal, geheiratet haben sie auf alle Fälle, und zwar im Sommer 1926 und das aus Liebe. Also ich finde das schon irgendwie romantisch. Mädchen aus der Arbeiterklasse heiratet den anerkannten Bastard einer adeligen Familie und steigt gesellschaftlich auf. Courths Mahler hätte es nicht besser schreiben können. Aber, wie so oft haben die schönsten Geschichten ein unschönes Ende. Der Apfel fällt halt doch nicht weit vom Stamm. Hier ein Techtelmechtel und dort eine Liebschaft und nach nur drei Jahren reichte meine Großmutter die Scheidung ein. Da war meine Mutter gerade drei Jahre alt. Dass in unseren Adern, wenn auch nur sehr wenig aber immerhin „, blaues Blut „ floss, empfand ich als Kind glitzernd, wie buntes Bonbonpapier. Die Prinzessin zu spielen fühlte sich doch gleich ganz anders an. Und, wenn ich ehrlich bin, tat meine Mutter auch oft so, als wäre Sie Gräfin Mariza höchstpersönlich. Der Rest ist rasch erzählt und wirkte im Gegensatz zu Ihren vorherigen Geschichten traurig und glanzlos. Der zweite Mann meiner Großmutter, ein engagierter Kommunist, wurde 1935 inhaftiert, ins KZ geschickt und dort später auch hingerichtet. Mit seiner Inhaftierung wurde die Ehe unter der Naziherrschaft zwangs-geschieden. Und dann gab es noch einen ins Heim zurückgekehrten Russlanddeutschen, aus Minsk, der meine Großmutter vor dem Ertrinken rettete und den Sie aus Dank oder pragmatischen Gründen, einer vermeintlichen Sicherheit, 1936 das Ja- Wort gab. Dass, der bei der SA war und womöglich an den Verbrechen der Nazis beteiligt gewesen war, darüber wollte ich nie etwas hören. Ich war froh, dass er nur ihr Stiefvater war und wir auf keinen Fall mit ihm blutsverwandt. Natürlich war meine Mutter, schon wegen der SA Zugehörigkeit ihres Stiefvaters beim Bund deutscher Mädchen. Darauf und das man Sie als Zwölfjährige zur Gruppenführerin ernannt hatte, war Sie nie besonders stolz. Überhaupt war Sie auf nichts stolz außer vielleicht auf Ihren Vater, auf den Sie große Stücke hielt und das, obwohl er bereits 1933 verstarb und auf Ihre Großmutter, von der Sie immer in warmen und weichen Tönen sprach. Ihr Verhältnis zur eigenen Mutter war distanziert. Kein Wunder, wie ich finde. Zum einen parkte Sie ihr Kind bei der eigenen Mutter und dann serviert Sie ihr auch noch zwei Stiefväter, wovon der eine umgebracht wurde und der andere Ihr gegenüber nicht gerade zimperlich und liebevoll war. Mit fünfzehn riss meine Mutter von Zuhause aus und meldete sich, mit falschem Geburtsdatum, bei der deutschen Wehrmacht , als Blitzmädchen. Gelandet ist Sie dann als Erntehelferin auf einem Bauernhof in Mecklenburg - Vorpommern. Ihre beste Zeit nannte Sie später die Jahre, die Sie dort verbracht hatte. Mit 16 verliebte Sie sich in einen 10 Jahre älteren Fliegersoldat, der auf Heimaturlaub war. Ein Jahr später, im Sommer 44, verlobte man sich. Dass, beide dennoch keine gemeinsame Zukunft hatten, war ein Schicksal, das viele Verliebte Ihrer Zeit mit Ihnen teilten. Im Mai 1945, bei einem der letzten Angriffe über den weiten Wiesen und Wäldern in Mecklenburg - Vorpommern, der Osten schon längst verloren war und die Front immer näher rückte, wurde seine Maschine abgeschossen. Das wirklich tragische daran war, dass Sie sah, wie die Maschine vom Himmel fiel, ohne zu wissen, dass Ihr Verlobter darinnen saß. Über die Flucht aus dem von Russen besetzten Gebiet sprach sie nie gerne. Auf Fragen wich sie aus und meistenteils blieb es dabei, dass sie lediglich erwähnte, dass die Russen nicht nett gewesen waren. Letztendlich war es auch gut so, dass ich wenig oder gar nichts darüber erfuhr. Ich weiß nicht, ob ich wirklich etwas von Vergewaltigung und Folter hätten hören wollen Ich hatte auch so schon oft genug das Gefühl Sie für all das ertragenes Leid trösten zu müssen und manchmal, wenn ich als Teenager über eigentlich belangloses und profanes Zorn empfand, gab ich meiner Mutter unbewusst recht damit, wenn Sie behauptete, wir wären alles undankbare Gören. Vor ein paar Tagen habe ich dann erfahren, dass es damals , im besetzen Meck- Pom doch zur Vergewaltigung gekommen war. Vielleicht erklärt das Ihre lebenslange Abneigung gegen Männer.
Mit zwanzig heiratete Sie zum ersten Mal. Der Grund war das Bleiberecht in Hamburg. Liebe? Totale Fehlanzeige. Ihr zukünftiger war 25 Jahre älter und brachte gleich zwei heranwachsende Jungs mit in die Ehe. Nach 9 Jahren war der Traum von einer glücklichen Familie aus-geträumt. Was blieb war ein Scherbenhaufen, geraubte Illusionen und drei kleine Kinder. Ich glaube, Sie war damals eine zu tiefst verletzte Frau, die sich vom Leben betrogen fühlte. Im Sommer 1958, mit mittlerweile vier kleinen Kindern und immer mit der Angst im Nacken, man könnte ihr die Kinder wegnehmen, weil man Müttern damals noch weniger zutraute aus ihren Kindern verantwortungsvolle und mündige Menschen zu machen, wurde die Suche nach einem geeigneten Vater und Ernährer der Familie immer wichtiger
Mein Vater wurde unehelich geboren, von einer Mutter, die den Kinderschuhen kaum entwachsen war und, wenn man den bösen Gerüchten Glauben schenken mag, die sich vehement über Jahrzehnte hielten, so soll der eigene Großvater auch sein Erzeuger gewesen sein. Aufgewachsen, ist er in Schleswig - Holstein. Seine Familie war dänischer Abstammung und blieb nach dem dänisch – deutschen Krieg 1864 einfach in dem von Deutschland zurückerobertem Gebiet. Seine Mutter war kurz nach seiner Geburt auf und davon. Erst nach Kriegsende erfuhr mein Vater, wo sich seine Mutter aufhielt. Zeitlebens blieben sie sich fremd und ihre neu gegründete Familie wurde nie ein Teil von ihm oder mir. Dass es da noch ein Stiefbruder gab, den er als 21- Jähriger aus dem Heim holte und bei sich aufnahm, erfuhr ich erst als ich fünfzehn war. Damals flatterte ein Brief aus Übersee mit Kanadischer Anschrift ins Haus. Ich kann mich noch an die Tränen, die Er während des Lesens heimlich wegzuwischen versuchte, sehr gut erinnern. Irgendwie tat Er mir leid und dennoch brannte in mir gleichzeitig die Neugierde. Ich wollte so gerne mehr darüber wissen und fragte bei jeder möglichen Gelegenheit. Aber mein Vater blieb stur und erzählte nichts. Eines Tages hab ich dann einen langen Brief an meinen Onkel geschrieben und zu meiner Freude kam fünf Wochen später eine ebenso lange Antwort zurück. Den Kontakt zu meiner kanadischen Familie habe ich heute noch. Wenn ich ehrlich bin, habe ich es immer sehr bedauert, dass mein Vater ein so wortkarger Mensch blieb. Von seiner ersten Ehe erfuhr ich nur am Rande und auch sonst blieb mir seine Vergangenheit und seine Herkunft ein Buch mit sieben Siegeln. Mit vierzehn begann Er eine Ausbildung zum Schlosser, die Er nach kurzer Zeit abbrach und mit 16 Jahren wurde mein Vater, wie viele seines Alters zum Volkssturm eingezogen. In Hamburg stand Er an der Flak, darüber erzählte Er hin und wieder etwas und auch darüber, dass Er nach Kriegsende für eine kurze Zeit in englischer Kriegsgefangenschaft war. Auf meine Fragen, wie seine Kindheit gewesen war, antwortete Er stets mit einem << wie die aller Kinder zur damaligen Zeit<<. Irgendwann, als ich beharrlich bohrte und nicht aufhören konnte mit meinen Fragerei über seine Vergangenheit wurde Er richtig gehend böse, schlug mit der Faust auf den Tisch und schrie<<. die Vergangenheit ist Vergangenheit und spielt für Ihn keine Rolle mehr. Ich habe nie wieder nachgefragt!
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Meine Eltern, mein Zuhause und ich
Ein Absatz im Buch „ Kriegsenkel“ hat mich ganz besonders angeregt darüber nachzudenken, wie eigentlich das Leben nach 45 für meine Eltern gewesen sein musste und was ihr Antrieb und Lebensziel gewesen sein mag. Sabine Bode schreibt:
Glück hatten jene Kinder, die danach von liebevollen und einfühlsamen Eltern gestärkt wurden. Glück hatten jene, deren seelische Wunden Zeit hatten zu heilen. Aber wie sieht es mit den anderen aus, die kein Glück hatten, weil ihre Eltern noch Jahre nach Kriegsende ausschließlich mit dem Überleben beschäftigt waren? In solchen Familien hieß es: Kinder haben zu gehorchen, Kinder haben still zu sein. Wer nicht hören will, muss fühlen.
Wie so viele Ihrer Zeit, holten auch meine Eltern, in den Fünfzigern Ihr jugendliches Leben nach. Es müssen wilde Jahre gewesen sein, damals, als der Petticoat Mode war, man nach den Klängen von Bill Haley tanzte und zum ersten Mal in Bella Italia Urlaub machte. Stolz darauf deutsch zu sein, war niemand. Aber man lernte langsam den Kopf wieder nach oben zu tragen und hoffte, dass die Akzeptanz anderer Nationen folgen würde. Auch meine Mutter kostete das damalige Leben aus und das, obwohl sie Kinder hatte. Kann man es Ihr verübeln? Ich glaube nicht. Die Generation meiner Eltern hatte so viel Nachholbedarf. Die Nachbarschaft war eine andere als heute. Man half sich, wo man konnte und es fand sich immer eine gute Freundin oder ältere Nachbarin, die auf den Nachwuchs aufpasste. Ob mein Vater ebenso eine wilde Zeit verbracht hatte, glaube ich nicht. Er war nie der Typ für ausgelassene Lebensfreude und die wenigen Bilder, die ich von Ihm gesehen habe, als er jung war, zeigten ihn meistenteils mit seinen Fußballfreunden oder spielend auf seinem Schifferklavier.
Das Dolce Vita war für den Bruchteil der Zeit ein Teil Ihres Lebens geworden und ich glaube, dass viele der Kriegsgeneration der Ansicht waren, dass sie ein Recht auf Freiheit und Ausgelassenheit hatten. Alle, und da waren meine Eltern keine Ausnahme, glaubten, die Schrecken des Krieges überwunden zu haben und unter dem, was sie erlebt hatten nicht mehr als unbedingt nötig zu leiden. Man muss sich nur die Schlager der damaligen Zeit anhören und man weiß wie viel Hoffnung dieser Zeit innewohnte. Während man Lieder von Catharina Valente und Bill Ramsey sang und sich Filme, wie“ Grün ist die Heide oder Peter Alexander, in seiner wohl berühmtesten Rolle, als Charlys Tante, in ein Millionär hat es schwer, ansah, packte man sein eigenes Leben kraftvoll und energisch mit beiden Händen und dachte nur noch selten an das, was gewesen war. Dass nichts von alldem überwunden war, ist mittlerweile hinlänglich bekannt. Wenn meine Mutter mir später über die goldenen Fünfziger und den ersten Jahren, gleich zu Beginn der sechziger erzählte, sahen wir uns oft Bilder an. Was mir immer sofort auffiel war, dass niemand traurig oder griesgrämig aussah. Das Glück schien aus jedem Knopfloch zu strahlen und der Gedanke , dass auch nur einer von Ihnen Nacht für Nacht von schrecklichen Träumen geplagt aufwachte und sich daran erinnerte, dass es nur Glück war, den Krieg überlebt zu haben, erschien mir in Anbetracht der Bilder so völlig absurd. Für mich waren meine Eltern stark und selbstbewusst. Gut, sie hatten ihre Eigenarten und, wenn meine Mutter bei Gewitter unter dem Tisch saß und weinte, war das für mich nichts Besonderes. Sie erklärte es immer mit der Erinnerung an die Bombenangriffe. Als Kind wusste ich zwar nicht, was Bombenangriffe bedeutete aber verstanden, das Sie vor irgendetwas Angst hatte, das habe ich schon. Beim nächsten Gewitter habe ich mich einfach mit Ihr unterm Tisch versteckt und fand das total aufregend. Wobei, wenn ich ehrlich bin, sind mir Gewitter nicht geheuer. Noch heute mag ich sie nicht und ich glaube, daran trägt meine Mutter Ihren Anteil mit.
Überhaupt fand ich vieles, was Sie getan hatte aufregend oder romantisch. Die Geschichte über das Kennenlernen meiner Eltern gehörte auf alle Fälle dazu. Zu mindestens bis ich alt genug war zu realisieren, dass es alles andere als das gewesen war. Im Grunde, war die Ehe, zu mindestens für meine Mutter, eine Zweck – und Nutzgemeinschaft. Ich glaube schon, dass beide sich sehr viel später und jeder auf seiner Weise geliebt haben. Aber zu Beginn war Liebe kein Thema. Vielleicht noch bei meinem Vater, der in einer seiner wenigen Momente, wo er Fragen offen und ehrlich gegenüber stand, beteuerte, dass Er sich beim ersten Anblick erst in meine drei Jahre älteren Halbschwester und dann in meine Mutter verliebt hatte. Ich habe es ihm geglaubt, weil es für mich meine Existenz auf wundersamer Weise so einfach machte.
Was meine Eltern und viele ihrer Generation wirklich verband, war die Suche nach einer heilen und sicheren Welt. Das meine Mutter dazu eher etwas Außergewöhnliches tat, war ihrem Mut, ihren Willen und wohl auch ihrer Verzweiflung zuzuschreiben. Aber die Heiratsannonce verfehlte ihren Sinn nicht und nach zwei Besuchen und drei Stücken selbst gebackenen Kuchen beschloss man, nach nur 6 Wochen das Aufgebot zu bestellen. Die Hochzeit, fand an einem regnerischen und grauen Tag, im November 1960 statt. Ich, das Dankeschön Kind, immerhin hatte mein Vater eine Frau mit vier Kindern geheiratet und schon deshalb musste ein eigenes her, wurde 10 Monate und 7 Tage nach ihrer Eheschließung geboren und das, obwohl meine Mutter eigentlich keine Kinder mehr wollte und auch nicht mehr austragen sollte. Das mit dem Dankeschön-Kind ist verbürgt und oft genug wurde es mir aufs berühmte Butterbrot geschmiert, wenn es zwischen meinen Eltern Probleme gab. Um ehrlich zu sein, habe ich diesen Ausdruck gehasst. Er machte aus mir etwas nicht Gewolltes und gleichzeitig bürdete es mir die Last auf für etwas, was ich nicht hätte beeinflussen können dennoch dankbar zu sein. Als Kind und auch noch später versuchte ich diese Bürde mit Anpassung und besonders tiefer Zuneigung zu meiner Mutter wieder wett zu machen.
Dass sich mein Vater mir gegenüber nie in überschwänglicher Liebe oder großen väterlichen Gesten zeigte, war etwas, was mich oft verletzt hat. In meiner kindlichen Naivität war ich der Auffassung, dass Er mich als sein eigenes und einziges Kind und dazu noch als Geschenk doch ganz besonders lieben müsste. Mit meiner drei Jahre älteren Halbschwester buhlte ich oft um seine Gunst. Meistenteils jedoch zog ich den Kürzeren und irgendwann war es mir auch nicht mehr wichtig. Zu einer gesunden Geschwisterliebe führte das nicht. Mit den Jahren wurden wir uns immer feindlicher und sind uns später eigentlich nur noch aus dem Weg gegangen. Es war kein Hass, jedenfalls nicht von meiner Seite, das unser Verhältnis auf unglücklicherweise zerstörte. Eher Missgunst und Neid erfüllte unser beider Leben. In der Geschichte << Puppenweihnacht<< habe ich eines meiner frühesten Gefühle sehr gut beschrieben. Überhaupt, wenn ich so darüber nachdenke, waren wir Geschwister immer irgendwie in einem ständigen Konkurrenzkampf, um die Zuwendung und Liebe beider Elternteile. So richtig solidarisch haben wir uns nur selten gezeigt. Nicht mal dann, wenn eine von uns gescholten , bestraft oder geschlagen wurde. Wir nahmen zwar Anteil, an dem was dem anderen widerfuhr, aber helfen und trösten taten wir nicht. Streitkultur und sich trotz unterschiedlicher Ansicht am Ende wieder zu vertragen, haben wir nie gelernt. Je älter wir wurden, umso stärker wurde der Hunger unserer Mutter nach Aufmerksamkeit und Zuwendung. Sie spielte uns Kinder gern gegeneinander aus und verbreitete schon etwas Neid, Missgunst und Zorn. Die Art, wie Sie es tat , war subtil oder , in anderen Fällen ziemlich offen, in dem Sie hinter dem Rücken jedes einzelnen schlecht über ihn redete. Es gab immer ein oder zwei unter uns, die sich dann mit Ihr solidarisch zeigten , was mit den Jahren dazu führte, dass wir Geschwister uns kaum noch vertrauten. Erst im hohen Erwachsenenalter haben wir gelernt uns gegenseitig zu lieben und zu vertrauen. Heute führe ich mit meinen verbliebenen Geschwistern eine sehr schöne geschwisterliche Beziehung.
Wer angepasst, lieb und artig war, war der erklärte Liebling. Ich gebe zu, dass ich das mit den Jahren fast perfekt beherrschten lernte. An dem, was wir hatten oder nicht hatten, wie wir erzogen oder gestraft wurden jemals auch nur etwas Kritik zu üben, das durften wir nicht. Mit dem Satz: << was seid ihr doch nur für undankbare Gören. Seid froh, dass ihr so ein Leben habt. Wir konnten nur zusehen, dass wir überlebten<< wurden wir jedes Mal daran erinnert, wie gut wir es doch im Gegensatz zu ihnen hatten. Unsere Erziehung war preußisch streng. Es gab feste Aufgabenteilung und Ordnung war für uns nicht nur das halbe, sondern das ganze Leben. Was sicherlich auch an unseren Wohnverhältnissen lag. Zu siebend, in einer 2,5 Zimmer Wohnung stellt eine Familie, mit vier Töchtern, einem Sohn und zwei Erwachsenen schon mal vor außergewöhnlichen organisatorischen Herausforderungen. Luxus, war Fehlanzeige. Was wir Kinder besaßen, passte in eine mit Deci-fix beklebte Apfelsinen Kiste. Baden fand nur am Samstag statt und das in einer Zinkwanne, die draußen im Schuppen hing und unter großem Aufwand, von meiner Mutter und meinem Bruder, in die Küche getragen wurde. Zweimal wurde das Wasser neu eingelassen, für mehr, reicht es nicht! Sauber waren wir dennoch. Am Steinwasserbecken, in der Küche, haben wir uns jeden Tag waschen müssen und das mit Kernseife und keinem Schnickschnack wie heute. Kontrolliert wurde hinterher und das auch hinter den Ohren. Wir Mädchen teilten uns ein Zimmer. Zwei Schränke, ein Etagenbett und für die Großen jeweils ein Bett, mehr passte nicht hinein. Aber ordentlich, dass musste es sein. Familienleben fand im Wohnzimmer statt, indem meine Eltern auch schliefen. Gespielt, mit unseren Puppen oder dem kleinen Kinderherd, auf dem ich gerne kochte, taten wir auf dem langen Flur. Es war eng ohne Frage, und dennoch war mein Zuhause mein ganzes Himmelreich und, wenn es zum Mittag Himmel und Erde gab oder Pfannkuchen, war das für mich der Inbegriff von Geborgenheit. Wir hatten für die damalige Zeit eine ganz normale Kindheit, normale Wohnverhältnisse und auch, wenn wir strenger erzogen und manch einer unter uns noch eine preußische Erziehung erhalten hat, waren wir dennoch in unseren Rahmen glücklich.
Sätze wie << erst die Pflicht dann das Vergnügen oder was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen<< waren alltäglich. Eine unserer Pflichten war das samstägliche Aufräumen unseres Zimmers. Ich habe es gehasst und gefürchtet. Gehasst deshalb, weil für Mutter Ordnung immer wichtiger war, als Nachsicht. Gefürchtet, weil Strafe immer auf dem Fuße folgte, wenn wir es nicht schafften, in der vorgebenden Zeit so aufzuräumen, wie Sie es gerne gehabt hätte. So manche unserer Sachen fand dadurch ein jähes Ende im Ascheimer. Da nutze auch kein Betteln und Heulen. Mein Zimmer sah später immer wie geleckt aus und, als Erwachsene habe ich lieber stundenlang aufgeräumt, als auch nur einen einzigen Krümel auf dem Boden zu sehen. Mein Ordnungssinn ging irgendwann so weit, dass ich während einer netten Kaffeerunde, zum Geburtstag, aufstand, den Staubsauger holte und noch während meine Gäste am Tisch saßen, die Kuchen-krümel wegsaugte. Überhaupt hab ich mehr aufgeräumt ,als andere. Alles musste immer picobello sein und ich glaube, ich habe mehr Zeit , beim Abwasch, Wegräumen und wieder Aufräumen verbracht, als mich mit meinen Gästen zu unterhalten. Denke ich heute darüber nach, muss das einfach für alle Beteiligten schrecklich gewesen sein.
Das Streben nach Glück, beruflichen Erfolg und gesellschaftlicher Anerkennung, war meiner Mutter zeitlebens wichtig gewesen. Sicher, war Sie da keine Ausnahme. Im Krieg hatte man nicht viel besessen und umso wichtiger wurde der Besitz, auch der materielle, zu späteren Zeiten. Sie drängte meinen Vater zu beruflichen Erfolg und dazu, Sie aus der Enge und den schwächeren sozialen Verhältnissen herauszuholen. Von uns Kindern verlangte sie Gehorsam, Leistung und schulischen Erfolg. Was jedoch nicht dazu führte, dass wir Kinder unterstützt oder uns geholfen wurde. << du musst dir schon selber helfen<< war ein Satz, den wir Kriegskinder oft gehört haben. Vielleicht auch deshalb, weil man ihnen, als sie Kinder waren, auch nicht geholfen hat. Ich glaube, dass wir nicht alle einen höheren Schulabschluss erreicht haben, hat sie maßlos enttäuscht. In ihren Augen war der eine oder andere unter uns dann doch ein totaler Versager. Am Tage meiner Schulentlassung , als ich stolz wie Bolle war, trotz mangelnder Hilfe und Unterstützung, meine mittlere Reife geschafft zu haben, gab sie mir dennoch das Gefühl versagt zu haben << Mit mehr Fleiß und Willen hättest du auch Abitur machen können. Aber ihr habt ja die Chancen, die wir euch ermöglichten nie zu würdigen gewusst<<. Das saß und irgendwie fühlte ich mich über Jahre mies, nur weil ich kein Abitur in der Tasche hatte. Es war nicht unbedingt so, dass wir in irgendeiner Form stellvertretend für unsere Eltern Erfolg vorweisen mussten oder ihre Träume hätten leben müssen. Aber es kam dem schon verdammt nahe. Mir kommt in diesem Zusammenhang gerade etwas in den Sinn, das Sie gerne und oft zitierte. Ich glaube , zum Teil hat es mich bis ins Erwachsenenalter hinaus geleitet :<< woher wir stammen muss man uns weder anhören, anmerken und auch nicht an unserer Kleidung erkennen. Bildung und Erziehung ist das Einzige was zählt. Lernt und benimmt euch, nur so kommt ihr weiter<<. Vielleicht war das auch der Grund dafür, dass Sie meinem Vater verbot in Plattdeutsch zu reden. Eine Sprache, in der Er fühlte und dachte. Intellektuell war Er Ihr immer unterlegen und das zeigte Sie ihm auch oft genug.
Die Ehe meiner Eltern war nicht immer glücklich und meinem Vater gegenüber konnte Sie schon ein Biest sein. Sie hat ihn häufig auch vor uns Kindern, provoziert, vorgeführt und erniedrigt. Ich glaube, Sie litt ein Leben lang darunter, dass Ihr durch den Krieg die Möglichkeit verwehrt geblieben ist, einen höheren Schulabschluss zu erreichen. Dass, mein Vater wenig Ehrgeiz hatte an unserer sozialen Situation etwas zu ändern, nahm Sie ihm glaube ich, schon übel. Mein Vater , war nicht dumm. Es fehlte Ihm nur an nötigen Ehrgeiz und Willen. Im Winter, 1970 zogen wir, zwei Straßen weiter, in eine fünf Zimmer Wohnung, mit richtigem Bad und einer Küche, die so groß war, dass man bequem hätte darin Volleyball spielen können. Mein Vater arbeitete von da an fast nur noch. Natürlich trug Mutter das Ihrige dazu bei und arbeitet halbtags als Verkäuferin. Während Sie also nachmittags Kunden zufrieden stellte, hielt sich mein Vater Tag für Tag gleich in drei Schichten im Hafen auf. Von da an galt ich als Schlüsselkind. Als er drei Jahre später endlich zum Vize (Vorarbeiter) aufstieg, schien meine Mutter endlich mit ihrem Leben versöhnt. Von nun an waren wir wer und konnten uns Urlaub und andere Annehmlichkeiten leisten. Es ging uns gut und man sah unseren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstieg an so vielem an, was meine Mutter neu anschaffte. Kleidung anderer und getragene Sachen meiner Schwestern waren von nun an passe` und Kino, Theater und ein Essen in einem richtigen Restaurant gehörten plötzlich zu den Dingen, die wir uns leisten konnten. Nach außen hin waren wir die perfekte Familie. Was nicht perfekt war, wurde unter den Teppich gekehrt. Dafür durften wir Kleineren auch schon mal lügen und den Nachbarn, auf die Frage, wo denn mein Bruder wäre erzählen, dass er in Holland seinen Bundeswehrdienst absolviert. Dass, Er in Wirklichkeit auf und davon war und wir gar nicht wussten, wo er sich aufhielt, durfte nicht nach draußen getragen werden. Dass, Ihre Unzufriedenheit, Ihre wechselten Launen und manches Unverständnis uns Kindern gegenüber unsere Familie auseinander brachte, erkannte Sie nicht. Meine Geschwister verließen hintereinander und das in nur sechs Jahren, die elterliche Wohnung. Ich blieb allein zurück und fühlte mich, mit meinen fünfzehn Jahren, noch mehr für das häusliche Glück und Wohlbefinden meine Mutter verantwortlich als zuvor.
Dass, ich mit fünfzehn Jahren magersüchtig war, nahmen meine Eltern kaum wahr. Ob sie es nicht sehen wollten oder konnten, weiß ich nicht. Aber es bedurfte erst der Besuch meines Klassenlehrers, damit sie etwas taten. Der Gang zum Arzt, der sich auf Mädchen mit Essstörungen spezialisiert hatte, absolvierte meine Mutter, wie eine unliebsame Pflicht. Es war Ihr peinlich, dass ich derartige Probleme bereitete und Ihre Reaktion auf meinen Zustand war so typisch für Sie. << sei doch endlich mal etwas dankbarer für das, was wir dir ermöglichen. Wir hatten nichts zu fressen, mussten im Abfall nach Essbaren suchen und Kartoffeln klauen und du tust so, als hätten wir nichts im Kühlschrank<<. Dass, ich massiv unter psychischen Problemen litt und mich selbst hasste, erkannten sie nicht. In einer meiner ersten Therapiesitzungen, da war ich Ende dreißig, gab ich auf die Frage, wie ich mich selber als Kind und Jugendliche sah, die simple Antwort<< als Nichts. << und vielleicht war die Meinung, die ich viele Jahre von mir selber hatte auch maßgeblich dafür verantwortlich, dass ich mir selten wirklich etwas zutraute. Eine Art Eigenliebe, nicht zu vergleichen mit einem ungesunden Narzissmus habe ich mir gegenüber erst sehr spät entwickelt. Im Rahmen der Therapie habe ich erst verstanden, dass, ich als Kind und Jugendliche emotional unterversorgt war. An dem ursprünglichen Muster hat sich auch später nie so richtig etwas verändert. Meine Eltern waren zeitlebens unfähig zu mir eine tiefe emotionale Bindung herzustellen oder mich so zu lieben, wie ich wahr. Im Grunde konnte ich mich abstrampeln so viel ich wollte – für meine Mutter hatte es nie gereicht und meinem Vater, war ich sein ganzes Leben lang ein Kind, um das er sich nie wirklich bemüht hatte. Die Tatsache, dass ich als Einzige, den Namen unserer Eltern trug, darauf war ich nie stolz. Die wenigen Male, wo ich mir darauf etwas einbildete oder es als Waffe gegen meine Geschwister benutzte, wurde mit dem Satz: << bilde dir bloß nichts darauf ein du bist nichts Besonderes << zu etwas schlechtem degradiert. Mit zunehmenden Alter empfand ich es sogar als Makel und habe den Namen gehasst und abgelehnt. Ich mag ihn heute noch nicht und war heilfroh ihn durch meine Heirat nicht mehr tragen zu müssen.
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Die Ambivalenz zur eigenen Mutter
In dem Buch „ Kriegsenkel „ beschrieb eine Betroffene das Verhältnis zu ihrer Mutter wie folgt: << Sie wusste immer, was richtig und was falsch für mich war. Sie hatte einen unheimlichen Einfluss auf mich<< Als ich diesen Satz las, stockte ich im ersten Moment, denn es beschrieb das Verhältnis zu meiner Mutter haargenau. Auch Sie wusste immer, was gut für uns Kinder war. Sie redete so lange auf uns ein, bis wir selber glaubten, dass der Weg, den wir gingen, unseren Wünschen entsprach. Eine meiner frühesten kindlichen Erinnerungen, an meine Mutter habe ist in meiner Geschichte „ Der Brief“ sehr gut beschrieben. Sie klingt traurig. Und, das war das Leben mit Ihr auch. Es war traurig und schön zugleich, weil Sie uns einerseits mit einer übertriebenen und gleichzeitig schnell flüchtenden Zuneigung erdrückt hat und andererseits uns ebenso missachtete, manipulierte und unsere kindliche Seele missbrauchte. Sie war für mich ebenso Dr. Jekyll und Mr. Hyde, Yin und Yan oder Gut und Böse. Sie war Liebe und der unheilvolle Sturm, der über mich hereinbrach. Man wusste nie, woran man bei Ihr war. Als Kind und Jugendliche litt ich darunter, dass Sie, wenn wir nicht parierten, uns gegenüber schweigsam blieb. Etwas, was Sie eigentlich Ihr Leben lang uns gegenüber als Mittel zum Zweck verwendete. Kinder lernen rasch das Verhalten der Eltern zu durchschauen und irgendwann war mir vollkommen bewusst, dass, wenn ich so bin, wie Sie mich haben möchte, ich Liebe, Aufmerksamkeit, Fürsorge und materielle Dinge erhalte. Bin ich hingegen wild, rebellisch und aufmüpfig erhalte ich nichts! Richtig zur Wehr gesetzt habe ich mich nie gegen Ihre Manipulation. Ich hab`s geschehen lassen, bis ich irgendwann überhaupt nicht mehr wusste, wer ich eigentlich war. Manchmal glaube ich noch heute, dass Sie es genossen hat uns so zu gängeln und uns Ihren Willen aufzudrängen. Es ging Ihr immer ganz besonders gut, wenn wir schwach blieben und taten, was Sie wollte. Das Irrsinnige jedoch war, dass Sie uns dennoch im Glauben ließ, dass wir frei entscheiden konnten und mit zunehmendem Alter Ihr ebenbürtig wurden. Dabei standen wir nie auf einer Stufe mit Ihr. Höchstens auf dem untersten Absatz. Das Bild meiner Mutter, dass ich immer wieder sehe, wenn ich an Sie denke, ist eine Frau, die thronend über mir sitzt und mir mit Würde und einer gewissen Arroganz Ihre Absolution erteilt. Mit 36 Jahren habe ich mich Ihr zum ersten Mal gegenüber gewehrt. Natürlich war meine Reaktion kindisch. Aber darum ging es nicht, sondern, darum, dass ich den Mut fand überhaupt zu reagieren. In einem vermeidbaren Streit warf Sie mir zum hundertsten Mal Undankbarkeit und Lieblosigkeit vor. Irgendwann war der Punkt erreicht und ich konterte mit dem Satz<< und du bist eine alte Hexe<<. Hinterher tat es mir leid, wie so oft, wenn ich etwas sagte und natürlich hatte ich ein verdammt schlechtes Gewissen. Aber es war ein Knoten geplatzt und von da an ließ ich mir nichts mehr gefallen.
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Die Abrechnung kommt zum Schluss
Es hat mich nicht erstaunt zu lesen, dass weit mehr als die Hälfte der Kriegsenkel in therapeutischer Behandlung waren oder noch sind und dass unser Leben weitgehend von den Traumata unsere Eltern bestimmt wurde. Meine Geschichte ist eine unter vielen und nichts Besonderes. Ob wir es hassen oder verurteilen liegt bei jedem selbst. Natürlich war nicht alles mies. Es gab auch Zeiten, die schön waren und mein Zuhause war ebenso ein Zufluchtsort, wie es heute für meine Kinder ist. Eltern haben immer einen großen Anteil daran, wie die eigenen Kinder werden. Für uns Kriegsenkel war es sicherlich nicht immer einfach, uns von dem Ballast und den unzähligen Geschichten unserer Eltern zu lösen. Vielleicht haben wir auch unbewusst manche Verhaltensweise übernommen oder es ganz anders gemacht. Ich bin und war meinen Kindern geduldiger gegenüber und liebe sie dafür, dass es sie gibt und nicht, weil sie irgendeinem Ideal oder einer Wunschvorstellung entsprechen. Ich würde weder im Zorn noch vor Enttäuschung, Sätze wie:<< ihr seid undankbar oder ihr nehmt mich aus, wie eine Weihnachtsgans<< sagen. Hilfe, die erwünscht, erfragt und oder eingefordert wurde, wurde immer und ohne Kompromisse gegeben. Vielleicht tue ich manchmal zu viel des Guten und bin in meinem Verhalten, als Mutter, zu perfektionistisch veranlagt. Was natürlich nur darauf zurückzuführen ist, dass meine nur dann Mutter war, wenn sie es wollte, uns nur dann lieben konnte, wenn wir ihren Ansprüchen entsprachen und uns dankbar zeigten, dass wir in einer friedvollen Zeit aufwuchsen. Für manches, was uns Kindern beigebracht wurde, bin ich trotz alle Ambivalenz dankbar. Natürlich ist übertriebene Pflicht und Fleiß kein Mittel zum Zweck. Aber sich für das, wofür man sich entscheidet verantwortlich zu zeigen und ab und dann doch pflichtbewusst zu handeln, war nicht ganz so verkehrt. Auf anderes hätte ich gut und gerne verzichten können und mir wäre viel erspart geblieben, wenn ich frühzeitig gelernt hätte, dass man seine eigenen Wünsche durchaus wichtig nehmen darf, sich nicht für alles und jedem gegenüber dankbar zeigen muss, nicht verantwortlich ist, für entgangenes Glück der eigenen Eltern, man auch dann noch geliebt wird, wenn man so ist, wie man ist , das Männer nicht immer nur das eine wollen und Sexualität und Sinnlichkeit durchaus etwas Wundervolles sein kann. Für meine Mutter bestand, der eheliche Akt nur aus Pflicht. Sinnlichkeit und Verlangen war ihr zuwider und vielleicht hat die Flucht vor den Russen dazu beigetragen, dass sie diese Ansicht ein Leben lang vertrat.
Manche von uns Kriegsenkeln mussten einen langen und beschwerlichen Weg auf sich nehmen, um sich von den Dämonen ihrer Kindheit zu befreien. Andere haben es durch Rebellion in Jugendtagen geschafft. Wie auch immer unsere Wege aussahen, ist unbedeutend. Was uns eint, ist die kollektive Schuld, dass wir etwas hatten, was unseren Eltern durch den Krieg verwehrt geblieben war. Eine wirkliche Auseinandersetzung, ein intensiver Prozess zwischen uns und unsern Eltern fand jedoch so gut wie nie statt. Letztendlich lag es an uns das Erbe ihrer Geschichte und die Fehler ihrer Erziehung aus seinem Schatten herauszulocken und neue Wege zu gehen.
Den Weg, den ich ab Ende dreißig gegangen bin, bereue ich nicht, wenngleich ich manches, was danach geschehen ist bedaure. Mein vermeidlich größter Fehler war, mich der Macht, den Launen, den Ängsten, dem Unmut, der Unzufriedenheit und den ständigen Manipulationen meiner Mutter zu entziehen, Ihr die Möglichkeit zunehmen sich weiterhin, in mein und das Leben meiner Kinder einzumischen und eine räumliche und emotionale Distanz zu schaffen. Meine Mutter hat mich Ihr Leben lang dominiert, Sie alleine scheint das Opfer zu sein. Davon, dass auch wir, ihre Kinder, Opfer waren wollte weder Sie noch mein Vater etwas hören. Keine Frage, sie trugen sicherlich schwere seelische Verletzungen in sich und nichts von alldem, was beide erlebt haben, hätte ich erleben wollen. Dennoch gab es ihnen nicht das Recht uns indirekt dafür zur Verantwortung zu ziehen und uns Schuld aufzuladen. Mein Drang nach Freiheit, Selbstständigkeit und räumlicher Distanz, hat Sie, wie so vieles nicht verstanden und sich in letzter Konsequenz von mir als Kind getrennt. Ich habe sie bis zu ihrem Tod nicht wiedergesehen. Sie starb leider viel zu früh und angeblich, wie meine Halbschwester mir weismachen wollte, an gebrochenem Herzen, weil ich sie verraten hatte. Natürlich hatte ich keine Schuld und verraten habe ich Sie sicherlich nie. Und dennoch habe ich mich über Jahre gefragt, ob ich nicht doch zu egoistisch gewesen war und Sie länger gelebt hätte, wenn ich mich nur ein wenig mehr zusammengerissen und meinen Freiheitsdrang unterdrückt hätte?
Mein Vater blieb nach dem Zerwürfnis mit meiner Mutter, wie immer ein schwacher Mann und nahm die neue veränderte Situation stoisch hin. Ich glaube, etwas anderes hatte ich von ihm auch nicht erwartet. Ich war es so gewohnt, dass er mich als sein Kind allem hinten anstellte, dass es mich nicht wunderte, dass er mir das Recht auf Einforderung seiner Liebe und Loyalität verweigerte. Er war weder meine erste kindliche Liebe noch ein Mann, den ich in irgendeiner Weise bewunderte. Meistens herrsche Stille zwischen uns. Es gab keine Schläge oder Strafen. Das überließ er gerne meiner Mutter. Sein Verhältnis war immer durchzogen von einer leichten Distanz und einer brennenden Kühle. Die wenigen Momente, wo wir dieses Gefühl von Vater- Tochter hatten konnte ich an einer Hand abzählen. Es gab weder besondere Höhnen noch Tiefen. Vielleicht gab es eine Zeit, nach dem Tod meiner Mutter, in der wir uns neu und auf einer erwachsenden Ebene hätten begegnen können. Aber am Ende hat ihn der Mut dazu gefehlt. Mit 81 Jahren ließ er mich per Gericht wissen, dass er nie ein eigenes Kind haben wollte, ich Ihm immer nur Kummer bereitet habe und Er sich wünsche, ich wäre nie geboren. Er wolle weder mich noch meine Kinder jemals wiedersehen. Warum er sich so entschieden hatte? Ich weiß es nicht! Mein Herz schob es auf seine beginnende Senilität und Demenz. Mein Verstand jedoch sprach eine andere Sprache, dass diese verletzende Offenbarung schon immer ein Teil von Ihm gewesen war und der Grund für so vieles, was zwischen uns stand. Fühlte ich mich von ihm verraten? Ja, das tat ich. Als Kind ebenso wie als Jugendliche und spätere Erwachsene und ganz sicher auch über seinen Tod hinaus.
Nachsatz
Vor ein paar Monaten habe ich das Grab meiner Eltern besucht. Ich war nicht oft da, in den vergangenen Jahren. Seltsamer Weise empfand ich immer noch so etwas, wie ein schlechtes Gewissen. Aber dieses Mal war es anders. Erstaunt, vielleicht sogar mit Freude, stellte ich fest, dass ich weder Schuld noch Sühne empfand und ihnen und mir längst vergeben hatte. Sie waren Kinder ihrer Zeit und haben es einfach nicht besser gewusst. Ich glaube, wenn wir uns das vor Augen halten, können wir verstehen, warum wir so und nicht anders erzogen wurden und, warum unsere Eltern waren, wie sie waren.
Die Faszination des Lebens mag trotz des
Bewusstseins der Vergänglichkeit
in dem Wagnis zum Du
in dem Mut zum Ich
in dem Übermut zur Freude
in dem Sinn für Humor
in der Ausgelassenheit des Lachens
in der Kraft , Leid zu überstehen
und der Fähigkeit zu lieben und zu verzeihen begründet sein.
Nachtrag:
Neulich bin ich gefragt worden, warum ich denn eine Geschichte geschrieben habe, die dann doch sehr persönlich ist und, was ich damit bezwecken möchte ?
Um es vorweg zu nehmen, es lag und liegt nicht in meiner Absicht, meine Eltern oder generell die Eltern ihrer Generation schlecht zu machen. Man sagt, über Tode soll man nicht schlecht reden, die können sich nicht mehr wehren! Es ist kein " über sie schlecht reden" oder von mir eine Art " Zurschaustellung" - schaut her, was ich für Eltern hatte - es ist nicht mal eine Abrechnung zwischen uns.
Manches im Leben benötigt einfach einen Abschluss, um wieder Luft zu bekommen, um frei zu handeln und zu denken und , um sich in seiner eigenen Haut wohl zu fühlen. Ich glaube, dass unsere Eltern sich ihrer Schuld nie so richtig bewusst waren und auch keinen Grund sahen sich für irgendetwas zu entschuldigen oder sich mit uns auseinanderzusetzen. Die Auseinandersetzung mit Ihnen und ihrer Zeit , blieb uns vorbehalten.
Jeder muss seinen Weg finden, um das zu tun.
Meiner ist darüber zu schreiben. Das mag dem einen oder anderen nicht gefallen, aber darum geht es auch nicht. Mir ging es einzig um die Aufarbeitung einer Zeit, die mich trotz des Wissens, dass sie längst vorbei ist und trotz einer intensiven Auseinandersetzung mit mir selbst, mich dennoch noch immer nicht ganz los lässt.
Ich glaube, dass zu erwarten , ist zu viel des Guten. Man kann nur lernen damit umzugehen , die Erfahrungen zu reflektieren und am Ende das Beste daraus zu machen.