Parallelen und Ähnlichkeiten können nicht ausgeschlossen werden oder „ I have a dream“
In vielerlei Hinsicht bediene ich keine gängigen Klischees. Ich habe weder einen Schuhtick, noch mach ich mir etwas aus Taschen und bei „ My best friends“ sage ich nein zu Diamanten und Co. Ja, ich lese nicht einmal diese typischen Frauenzeitschriften. Es interessiert mich schlichtweg einfach nicht. Wenn ich überhaupt ein Faible für irgendetwas habe, dann sind es Berichte aus vergangenen Zeiten. Ich mag Geschichte. Das war schon immer so. Dabei unterscheide ich nicht in deutscher, französischer, englischer oder die Historie aus Tausend und einer Nacht. Eigentlich lese ich alles, was mir so unter meine Fittiche kommt. In einer meiner favorisierten Zeitschriften für historische Ereignisse und Epochen ging es vor einigen Wochen um < die Goldenen 20er<. Der bezeichnende Untertitel zu dem Thema lautet: Deutschlands Tanz auf dem Vulkan“ und irgendwie habe ich das Gefühl, als würden wir erneut tanzen.
Die Dekade zwischen 1920 und 1930 übte schon immer eine Anziehungskraft aus. Und vieles war ja auch aufregend und neu. Endlich begann eine freiere Moral und Sitten, die Emanzipation nahm ihren ersten Anlauf und sogar manche Hürde, Wissenschaftler erzielten bahnbrechende Fortschritte, beinah über Nacht entstanden neue Formen in der Architektur und Stadtplanung und das von Walter Gropius 1919 errichtete „ Bauhaus“ erfreuter sich zahlreicher Anhänger und Studenten. Man begeisterte sich ebenso an allen Kunstrichtungen, wie an fortschrittlicher Mobilität oder dem neuen Medium Film und Rundfunk. Sportler, die man ansonsten nur gekannt hatte, mutierten plötzlich zu wahren Helden und wurden allerorts gefeiert und der „schwarzen Venus“ auch bekannt unter dem Namen Josefin Baker, lag die Welt zu Füssen. Die Begeisterung schien keine Grenzen zu kennen und das Gefühl der damaligen Zeit hieß eindeutig „Was kostet die Welt?“ Zu mindestens in den Köpfen der Bevölkerung wohingegen politische Zeitgenossen die 1920er-Jahre eher als eine Umbruchzeit wahrgenommen haben. Schlussendlich war zuvor eine ganze Menge passiert. Die Schmach der Niederlage im Ersten Weltkrieg, die Gewalterfahrungen vieler, die unter diesem Krieg gelitten hatten, der Sturz des dt. Kaisers, die Gründung einer Republik und nicht zu vergessen, die Hyperinflation – all das stellten überkommene Gewissheiten infrage.
Kurt Tucholsky schrieb in einer Ausgabe der Weltbühne, einer wöchentlich erscheinenden Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft <<. Was jetzt kommt, weiß niemand“. Und wer weiß, wozu das gut war das niemand wusste und sich eher dem Laissiz- faire – Lebensstil hingab, als darüber nachzudenken, was kommen könnte. Die Freude über gewonnene Freiheiten und der Leichtigkeit des Seins wäre sicherlich weniger gewesen, wenn man vorher geahnt hätte, dass sich die Weimarer Republik selbst zerfleischt und in tausend Stücke zerbirst und das sich an dessen Ende eine Partei etabliert, die Deutschland und die Welt in den Niedergang führt und unendliches Leid über tausende von Menschen bringt? Alles schien ab 1920 in eine positive Zukunft zu weisen und moderne Medien, die einem deutlich zeigen, wohin das Schiff gehen kann und der Wind weht, die gab es noch nicht. Heute jedoch wissen wir, dass am Ende Radikalisierung und Extremismus, Weltwirtschaftskrise und der Zusammenbruch der dt. Demokratie und der Beginn der Nationalsozialisten stand.
Feierten wir nicht auch den Beginn unseres Zwanzigsten – Jahrhunderts ausgiebig und mit Freuden? Und, hat nicht sogar manche renommierte Zeitschrift noch kurz vor dem Jahreswechsel gewisse Vergleiche gezogen und von den „Neuen Zwanzigern“ geschrieben? Gewiss meinte niemand in diesem Zusammenhang den politischen Untergang. Und doch tanzen auch wir schon längst auf dem Vulkan!
Unsere altgedienten Parteien zerstritten und ich Flügelkämpfe verwickelt. Keiner gönnt dem anderen die Butter auf dem Brot. Es wird geschachert, geschanzt und Intrigen gesponnen, wo man nur hinsieht. Möchtegern – Leitwölfe geben ungefragt ihre Vorzüge zum Besten und jeder möchte sich als Mann oder Frau der Stunde etablieren. Die weltweite Politik ist so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass weder Ängste, Nöte noch die Sorgen des „kleinen Mannes“ ernst genommen werden. Ein leichtes Spiel für alle rechtsgerichteten Parteien und Gruppierungen gegen die so gut wie nichts unternommen wird. Fremdenhass, Antisemitismus, Verschwörungen und rechtsradikales Gedankengut kriechen wie Geschwüre durch alle Gesellschaftsschichten und immer öfter frage auch ich mich. << Was kommt jetzt – wohin fährt unser Schiff und sind wir noch in ein oder zwei Jahren, eine Welt, in der ich leben will oder fährt sich unser neues Zwanziger-Jahrhundert ebenso an die Wand wie das vorherige? Fragen über Fragen und dabei bin ich so gesättigt!
Ich will nicht mehr lesen und hören, dass erneut Menschen geschlagen, verfolgt und gedemütigt oder gar getötet werden, nur weil sie eine andere Hautfarbe als Weiß haben oder einer anderen Glaubensrichtung angehören. Will nicht mehr von Mord und Totschlag, marodierenden und plünderten Horden lesen und Bilder von Kriegsschauplätzen als alltägliche Lektüre vorgesetzt bekommen. Kann die Bilder von hungernden Kindern im Jemen und den kleinen flüchtenden Erdenbürgern, die wie Ratten im Dreck leben müssen nicht mehr sehen. Ich bin es so müde, zu sehen, wie sich in unserem Land erneut der Rechtspopulismus etablieren konnte und, wie Menschen in Horden deren Ideologien Folge leisten können. Ich will und kann es nicht verstehen und möchte einfach ein klein wenig weniger über das Schlechte der Welt lesen. Entziehen? Werde ich mich kaum können und wollen. Ebenso wenig wie die meisten Menschen, die Empathie und Menschlichkeit empfinden. Es ist lediglich meine Motivation, die mir an manchen Tagen so vorkommt, als stünde sie fest in ihren bleiernen Schuhen.
Wahrlich! Unsere Zwanziger Jahre zeigen sich nicht von ihrer besten Seite und das hat nichts aber auch rein gar nichts mit dem Virus zu tun. Da drängt sich so mancher Vergleich geradezu auf. Sie sind anderer Meinung? Mit Verlaub dann attestiere ich ihnen Blindheit auf beiden Augen.
In dem Artikel zum „Tanz auf dem Vulkan“ steht abschließend zu lesen: Die Weltwirtschaftskrise 1929 setzte der kurzen Phase einer politischen und ökologischen Stabilisierung ein jähes Ende. Mangelnde Kompromissbereitschaft der Parteien, Legitimitätsverlust des demokratischen Systems und die Angst vor einem Bürgerkrieg, zuletzt die Selbstüberschätzung der Konservativen im Umgang mit den Nationalsozialisten zerstörten das „Großprojekt der klassischen Moderne“,
(Heinrich August Winkler Historiker)
Wollen wir hoffen, dass sich davon nichts wirklich wiederholt. Deshalb möchte ich lieber mit den Worten Martin Luther King abschließen und sage frei und von ganzem Herzen:
I HAVE A DREAM
In diesem Sinne herzlichst eure Lilo David.