Tag der Befreiung. Was bedeutet er für dich?
Eine Frage, die gar nicht so leicht zu beantworten ist. Und doch wurde sie uns Mitgliedern einer politischen gesellschaftlichen Gruppe gestellt. Mancher antwortete spontan, andere hingegen brauchten etwas Zeit, um sich darüber klar zu werden und wieder andere hatten im Prinzip gar keine Antwort parat. Auch ich gehörte zu denjenigen, die nicht spontan geantwortet hatten. Nicht, weil ich um eine Antwort verlegen war, sondern, weil ich glaube, dass dieser Frage eine gründliche Überlegung folgen sollte.
Ich bin 16 Jahre nach Kriegsende geboren. Mit meinem zeitlichen Abstand schaut man auf diesen Tag weder mit großen Emotionen noch mit gelebten Erfahrungen und gleichwohl, hat die Zeit als auch der 8. Mai.45. mein Leben nachhaltig beeinflusst. Wie viele Kinder meiner Generation hatte ich Eltern, die die Zeit des Nationalsozialismus mit allen Schrecken und Facetten erlebt haben. So etwas prägt auch nachfolgende Generationen. Und obwohl beide Elternteile emotional anders mit ihrem Leben inmitten eines Krieges umgegangen waren, erschien mir jedoch dieser Tag der Befreiung für beide gleichermaßen wichtig gewesen zu sein. Ich selbst hingegen hatte kein so richtiges Gefühl für diesen 8. Mai 45. Es war eher eine Geschichte unter vielen, die ich als Kind und Heranwachsende öfter als mir lieb gewesen war, erzählerisch aufgezwungen bekommen hatte. Das Bewusstsein, um diesen Tag wuchs von Jahr zu Jahr und irgendwann entstand so etwas wie eine leise Liebesbeziehung daraus.
Geschichte ist leider nie vorhersehbar. Der 8. Mai ist somit ebenso Zufall, wie der 7. Dezember (Pearl Harbour), der 11. September (Twin Towers NY) oder andere geschichtliche Daten. Das irre und witzige an all diesen Daten ist für mich persönlich, dass ich private und schöne Ereignisse damit verbinde. Meine Tochter wurde am 7. Dezember geboren, mein ältester Sohn am 8. Mai und ich selbst habe am 11. September Geburtstag und dennoch komme ich nie drumherum mich auch an deren geschichtliche Bedeutung zu erinnern.
Seit 75 Jahren verbinden wir also mit dem 8. Mai den Tag der Befreiung. Ist er es wirklich? Für mich und Millionen andere Menschen mit Sicherheit. Ohne den Sieg der Alliierten über Hitler-Deutschland, ohne die Ereignisse, die zuvor geschehen waren, wie D-Day am 7. Juni, (übrigens mein kirchlicher Hochzeitstag) wären wir nicht die Menschen, die wir heute sind und sein dürfen. So viel muss jedem bewusst sein. Die Kapitulation Deutschlands war für viele Menschen, rund um den Globus, eine Erlösung, ein Befreiungsschlag vom Joch der Nationalsozialisten und ein Tag des Jubelns. Aber ebenso war es, für die ewig verbohrten und „wahren Anhänger „des totalitären und menschenverachtenden Regimes eine herbe Niederlage und ganz sicher kein Grund zum Freuen.
Heute, sind wir um das Wissen reicher, dass, hätten wir den Krieg nicht verloren und Gott sei Dank haben wir ihn verloren, wir nicht in einem freien Deutschland und in einer freien Welt leben dürften. Es gäbe keine Meinungsfreiheit, keine Vielfalt an Nationen, die lieber ein Miteinander als ein Gegeneinander wollen und keine Welt, wie wir sie heute kennen.
Selbstredend ist mir bewusst, dass die Ansichten über den 8. Mai regional unterschiedlich sind. Die Kapitulation Deutschlands brachte auch deren Teilung mit sich. Es fehlt mir nicht an menschlichem und politischem Verständnis für die Einwände manch früheren Ostdeutscher zu diesem Tag. Dennoch ändert es nichts an meiner Ansicht. Jeder wird von dem politischen System geprägt, in das er hineingeboren wird. Meines war freiheitlich und demokratisch. Der Zufall wollte es, dass die Stadt in der ich vor 58 Jahren das Licht der Welt erblickte zur englischen Besatzungszone gehörte. Dass, der Russe damals östliche Teile besetzte war gewollt und legitim. Viele damalige Sozialisten und Kommunisten begrüßten den Sozialismus und die Aussicht einen völlig neuen und für alle gerechten sozialistischen Arbeiter – und Bauernstaat zu errichten euphorisierte viele. Was dann über die Jahre daraus geworden ist und sich entwickelt hat, hätte man vielleicht schon früher erkennen und doch nichts dagegen unternehmen können. Meine Welt und politische Bildung waren eine vollkommen andere, als die im Osten. Willy Brand und Helmut Schmidt waren maßgeblich an meiner politischen Bildung beteiligt. Ein Leben lang werde ich beiden dankbar dafür sein, dass sie kritisch und sozial, wenn auch nicht immer ganz unumstritten Deutschland, mich und eine ganze Generation junger Menschen geprägt haben. Das Erbe meiner Elterngeneration, das Wachsen unserer Demokratie, die Begriffe Freundschaft und Gleichheit, und der erste Artikel unserer Verfassung“, die Würde des Menschen ist unantastbar“ bleiben unumstritten in meinem Gedächtnis bestehen. Der 8. Mai ist ein „Glückstag“ für die gesamte Welt und ebenso ein Mahnmal dafür, dass sich Menschen aufgrund ihrer Religion, ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Lebensanschauung und ihres gesundheitlichen Zustandes nie sicher fühlen konnten, verfolgt und millionenfach getötet wurden. Etwas, was nie wieder passieren darf und doch scheint es dieser Tag, in den Köpfen mancher unverbesserlichen Anhänger brauner Gesinnung leider wieder salonfähig zu werden. Es darf nie wieder einen Tag der Befreiung geben. Weder morgen noch irgendwann!
Dafür sollte sich jeder, der bei wachem Verstand ist, einsetzen und stark machen.
Es lebe die Freiheit!
Im Herzen, in den Köpfen und für alle Menschen dieser Erde gleichermaßen.
In diesem Sinne.
Herzlichst eure / ihre Lilo